Nach der Wiesn:"Taxi? Kommt heut keines mehr"

Nach der Wiesn: Der Goetheplatz ist mit Fastfood-Restaurant und seinen vielen Haltestellen ein wichtiger Verkehrsknoten für den Heimweg.

Der Goetheplatz ist mit Fastfood-Restaurant und seinen vielen Haltestellen ein wichtiger Verkehrsknoten für den Heimweg.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn sich auf der Wiesn die Zapfhähne schließen, machen sich Tausende auf den Heimweg. Das bedeutet: Chaos, Geschäftemacherei - und manch einer wird ganz sentimental.

Von Camilla Kohrs, Magdalena Latz und Anton Rainer

Es ist 23 Uhr, still ruht der Goetheplatz. Einzelne Passanten spazieren entlang. Auf der Terrasse vor einem Burgerrestaurant isst eine Gruppe Freunde zu Abend. Und dann hört man es von fern aus der Mozartstraße lärmen: Sie kommen.

Innerhalb von Minuten füllt sich der Platz vor dem Kino mit grölenden Männergruppen. Jugendliche torkeln hinab zur U-Bahn oder zu McDonald's, stützen sich teils gegenseitig. Ein Paar hat eine Mülltonne zum Stehtisch umfunktioniert, darauf das mitgebrachte Bier, Burger und Pappbecher voll Cola.

Ein Betrunkener kauert sich mit einer braunen Papiertüte hinter aufgestapelten Tischen zusammen. Auf einem Poller aus Stein sitzt ein Kerl, auf dem rechten Oberschenkel das Smartphone, auf dem linken eine Packung Pommes. Abwechselnd tippt er auf dem Gerät und taucht dann wieder Pommes in Ketchup.

Bei McDonald's wickeln die Menschen die Burger gierig aus, schlingen hinunter und lassen das Papier zu Boden fallen. Auch draußen ist alles mit dem Einwickelpapier und braunen Papiertüten übersät. Man hört Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, alles durcheinander. Frederick steht da, in der Hand noch einen Masskrug. Wo er den her hat, kann er nicht sagen, aber er weiß: Geklaut ist der nicht. Frederick schwankt. Der nächste Zug heim, geht um sechs Uhr morgens, also in ungefähr sieben Stunden. "Eigentlich muss ich um sieben auf der Arbeit sein, aber morgen komme ich etwas später."

Wenn sich auf der Wiesn am Abend die Zapfhähne schließen, drängt es die, die den Absprung nicht vorher geschafft haben, mit einem Mal rein in die Stadt. Und diese Urgewalt stürzt manche Orte ins Chaos, wie den Goetheplatz. Aber nicht nur das. Der Heimweg von der Wiesn eröffnet eine Zwischenzone in der Zeit, mit einem ganz merkwürdigen, zerbrechlichen Zauber: wenn das Alte noch nicht vorbei ist, aber auch noch nichts neues begonnen hat. In diesem Schwebezustand kann sich Entscheidendes abspielen.

"Und dann sind wir ins Gespräch gekommen"

Vor dem Goetheplatz strömen die meisten Richtung U-Bahn. Nur ein Bruchteil tröpfelt zum 68er Bus, der auch dort hält. Manche schwenken Einhorn-Ballons oder blinkende Herzen. Ringlinie, erstmal rauf nach Giesing, dann ist schon viel gewonnen. Da steht zum Beispiel Johanna, die roten Haare zu Zöpfen geflochten, und umklammert eine Herzchen-Tüte mit Resten gebrannter Mandeln. Und da steht auch: Manfred. Die Haare werden schon lichter, aber er wirkt aufgekratzt wie ein Schuljunge. Und Manfred spricht, deutlich hörbar, Allgäuer Dialekt. Das gefällt Johanna. Sie spricht ihn an. "Und dann sind wir ins Gespräch gekommen", sagt sie. Es ist halt oft so einfach.

Während der Fahrt klammern sich viele aneinander und wiegen sich in den Bewegungen des Busses. "Das muss schon madig sein, wenn du Busfahrer bei so 'ner Rauschlinie bist", sagt ein Typ Anfang 20, in Weste und tadelloser Lederhose. Der Kumpel geht nicht darauf ein. "Morgen muss ich mir aber auch was reinpfeifen, sonst pack ich den Tag nicht", sagt er.

Manchmal kann das Heimkommen auch schwierig sein, daraus haben die Rikscha-Fahrer ein ganzes Geschäftsmodell entwickelt. Auf dem St.-Pauls-Platz blinken LED-Lichter um die Wette. Aufgereiht stehen sie da: von der Luxuskarosse bis zum gefühlten Dreirad. "Taxi? Kommt heute keines mehr, sorry", sagt ein Fahrer zu den vorbeieilenden Wiesngästen. Und zum Hauptbahnhof laufen? Sind ja immerhin nur gut 850 Meter. "Das schaffen Sie nie", sagt der Mann. "Jetzt fahrt's halt mit!"

Die Musik in der Rikscha ist vom Moment inspiriert

20 Euro kostet die Fahrt. Dafür kann man sich an sich fast zwei Mass leisten. Aber es ist halt Wiesn, und welche U-Bahn hat schon eine eigene Sound-Anlage und Discokugeln zu bieten? Na also. Karl und Maria haben bei Claude angebissen, ein "echter Kölsche Jung". Er: 32, Bart, Hoodie und Headset. Das Paar: kichernd, mittelalt, Tracht. Claude legt gleich mal eine Playlist mit Schlagern ein, in denen der Name "Maria" vorkommt. Claude sagt, er lasse sich bei der Musikauswahl vom Moment inspirieren. Für russische Fahrgäste legt er schon mal "Kalinka" auf. Bei der Fahrt singt er dann etwas schief und sehr laut mit.

Für Rikschafahrer gelten zur Wiesnzeit offenbar keine Verkehrsregeln: Gewöhnliche Radler werden zusammengehupt, an Autos blinken und jodeln sich die Rikschas einfach vorbei. Zwei Minuten später sind Karl und Maria am Hauptbahnhof angekommen. Handschlag, Trinkgeld, gute Nacht. Dann stellt sich Claude zurück an die Straße vor dem Bahnhof und ruft: "Radtaxi zum Hauptbahnhof!"

Daneben, am Abgang zur U5, kommt gerade ein junger US-Amerikaner in Plastik-Lederhosen an. Sein Problem: Er muss zur U2. Aber die 100 Meter zum richtigen Abgang will ihn der Fahrer nicht bringen. "Einfach einmal durchgehen, you can do it", sagt der. Er will es ihm auf dem Handy zeigen, aber der Amerikaner hat kein Handy mehr. Nach etwas Geplänkel schaukelt er los.

Im 68er lehnt sich Manfred immer näher zu Johanna. Keine ihrer Bewegungen entgeht ihm. Seine Augen strahlen und werden immer größer. Johanna wehrt ihn halbherzig ab, aber sie lächelt dabei. "Ich hab dir schon gesagt, dass ich verheiratet bin und zwei Kinder hab'."

Und plötzlich bricht die Realität ein, in den Zauber des Heimwegs. Manfred hat solche Sätze offenbar schon zu oft gehört. Nun öffnet er sein Herz. Wie schwer es sei, "was Festes" zu finden. "Mein Telefonbuch ist voll mit Frauennamen", sagt er. Aber wenn er dann mal am Wochenende anrufe, um was zu unternehmen, hat plötzlich keine mehr Zeit." Es ist unklar, wie das Johanna noch überzeugen soll, auch: von was. Manfred sieht sie an. "Heute Abend hab' ich mich schon ein bisschen verliebt."

Aber es ist zu spät. Alle Möglichkeiten, die in der Luft lagen, verpuffen mit einem mal. An der Silberhornstraße steigen beide aus. Ein paar Augenblicke stehen sie gemeinsam an der Haltestelle. Dann gehen sie fort. Einer rechts, eine links.

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