Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:"Für die, die rausgehen, ist es auch ein Statement"

Sicherheitsdebatte hin, Wetter her: Viele Wiesnzelte sind am ersten Nachmittag wegen Überfüllung geschlossen - wie es sich für das Oktoberfest gehört.

Von Laura Kaufmann

Der Sommer hat sich endgültig verabschiedet aus der Stadt und den Münchnern zum Trost das Bierspektakel auf der Theresienwiese gelassen, so scheint es. Der Himmel ist grau und der Regen nicht stark, aber stetig, und so bleibt es unklar, ob es das Wetter ist, welches die Menschen von einem frühen Wiesnbesuch abhält oder doch ein unterschwelliges Angstgefühl.

Die Zelte sind noch offen am frühen Vormittag, die Menschen schlendern unter bunten Schirmen umher, aber keiner drängelt, eilt, schubst. Der Zaun ist kein Hindernis, zumindest am Morgen nicht. Ordner fragen höflich, ob sie einen Blick in die Tasche werfen dürfen, und Besucher lassen das bereitwillig geschehen.

"Das Wetter hat die Wiesn immer stärker beeinflusst als alles andere"

"Ich kann mit 1000-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass ich mit dem gleichen Gefühl auf die Wiesn gehe wie auch sonst", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter. Gerade hat er mit sauberen zwei Schlägen angezapft im Schottenhamel Festzelt, die Erleichterung ist ihm anzumerken, und auch, dass er viel lieber darüber reden würde als über Ängste und Sicherheit. Das 183. Oktoberfest ist nun eröffnet, und es soll endlich seinen Lauf nehmen dürfen. "Ich saß in unzähligen Sitzungen mit dem Polizeipräsidenten zusammen, ich weiß, wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen sind. Höher als in den Jahren davor."

Nach dem Anstich sind die traditionellen Böllerschüsse zu hören, laut wummernd. Vorsorglich wurde das in den Zelten angekündigt, damit sich die Gäste nicht erschrecken. Sie tun es nicht, und die Bedienungen rücken mit Maßkrügen beladen aus zu ihren Tischen, die Kapelle spielt, und das Wiesn-Karussell dreht sich wieder, dreht sich wie gewohnt. Ohne Ministerpräsident Seehofer, der sich nach dem Anzapfen einfach ins Hofbräuzelt davon gestohlen hat.

Auf der Empore des Schottenhamel Festzelts, auf der alle anderen Ehrengäste nach dem Anzapfen beisammen sitzen, ist die Stimmung gelöst. Christian Ude ist auf der Kutsche der Weinzelt-Wirte auf die Wiesn eingefahren, von Kontrollen ist er verschont geblieben. "Es ist natürlich viel entspannter für mich, einfach die Atmosphäre genießen zu können und für nichts verantwortlich zu sein", sagt der ehemalige Oberbürgermeister.

Ein anderes Gefühl als sonst empfinde er nicht auf dem Oktoberfest, sagt Ude. "Wir haben jetzt seit einem halben Jahr Sicherheitsdiskussionen über die Wiesn. Und als einmal etwas wirklich schlimmes passiert ist, hat man das schnell verdrängt, weil das politisch nicht gepasst hat." Nach dem Oktoberfestattentat im Jahr 1980 wurde das Fest nach nur einem Ruhetag fortgeführt. Heute ist das schwer vorstellbar.

Gabriele Weishäupl sitzt vor einer alkoholfreien Maß, wie sie das immer tut, zu den Anstichfeierlichkeiten. "Ich gehe natürlich mit dem geschärften Adlerauge einer ehemaligen Festleitung über die Wiesn", sagt sie. Erst einmal hätte sie eine Runde um den Zaun gedreht. Ihre Handtasche, ein schwarzes Sackerl, Erbstück ihrer Großmutter, ist durchsucht und mit einem Bändl versehen worden, als sie dann hinein gegangen ist.

Eher wenig sei los an diesem Eröffnungssamstag, sagt Weishäupl, die das Oktoberfest kennt wie nur wenige. "Aber das Wetter hat die Wiesn immer stärker beeinflusst als alles andere." Heute regnet es eben. Aber daran liegt es nicht allein, glaubt sie. "Viele Münchner warten erst einmal ab. Die Touristen haben die ganzen Diskussionen nicht mitbekommen, aber die Münchner eben schon. Und für die, die rausgehen, ist es auch ein Statement, denke ich." Das sei es für sie selbst auch, neben der innigen Verbundenheit zu diesem Fest, die sie so oder so hinauszieht: ein Statement.

Statement oder nicht, am frühen Nachmittag sind die Türen der Zelte dann fest verschlossen. Drinnen spielen die Kapellen Fliegerlieder, Schatzis, die Fotos holen, Bergwerkherzen, und die Armmuskeln der Bedienungen spannen sich unter der Last der Krüge. Die, die draußen bleiben müssen erstmal, die fangen an zu frieren. Aber drinnen, da wärmen das Bier und die Körperwärme, und drinnen, da fühlt sich bald alles euphorisch und unbeschwert an. So, wie es sein sollte, wenn Menschen friedlich zusammen feiern.

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