Oktoberfest:Ein Prosit der Sparsamkeit

Oktoberfest: Geldbeutel von Wiesnbedienungen- unser Autor schämt sich ehrlich, kein Trinkgeld gegeben zu haben.

Geldbeutel von Wiesnbedienungen- unser Autor schämt sich ehrlich, kein Trinkgeld gegeben zu haben.

(Foto: Stephan Rumpf)

63 Euro gibt der durchschnittliche Wiesnbesucher aus - geht das nicht viel günstiger? Mit der Hälfte etwa? Unser Autor hat es ausprobiert.

Von Marco Wedig

Vor dem Masstrinken kommt für mich heute das Maßnehmen: 16,5 mal 23 mal 8,5 Zentimeter hat meine Bauchtasche. Eigentlich etwas zu groß für die Wiesn, aber so genau werden es die bei der Zugangskontrolle schon nicht nehmen. Irgendwo muss ich doch schließlich meine Käsebrote verstauen.

63 Euro gibt ein Besucher durchschnittlich aus, so heißt es in einer Studie der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young aus dem Jahr 2015. Aktuellere Zahlen sind nicht bekannt, weniger wird es seitdem sicherlich nicht geworden sein.

Mir sind 63 Euro zu viel. Trotzdem will ich aufs Oktoberfest, und zwar nicht nur übers Gelände laufen. Ich will Bier trinken, mich von einem dieser Fahrgeschäftsmonster durchschütteln lassen und was essen - alles für maximal die Hälfte. Eine Herausforderung, ja, aber wieso nicht mal einfach ausprobieren? Mit 30 Euro und etwas Wasser mache ich mich auf den Weg, und mit den Käsebroten natürlich. Denn wie in jeden bayerischen Biergarten kann man auch in die Biergärten der Festzelte seine eigene Brotzeit mitbringen.

Klar, ich könnte auch im Kapuzenpulli hingehen. Aber ich will untergehen in der blaurotweiß karierten Trachtenmasse. Also dahin, wo alle Kurzentschlossenen so was kaufen: zum Hauptbahnhof. 25 Euro kosten dort die Hemden, zu teuer. In der Fußgängerzone verhöhnen mich die Preise der Trachten-Outlets. Letzter Ausweg: einer dieser Second-Hand-Läden, in denen man die Kleidung nach Kilopreisen bezahlt. Ich wiege verschiedene Hemden ab und lande schließlich bei 8,40. Erst jetzt betrachte ich das Fundstück etwas genauer. Es ist rot kariert mit einer beige abgesetzten Schulterpartie. Ein kleines Loch auf der linken Vorderseite, ein Knopf fehlt. Aber das Highlight ist das aufgestickte Logo: "20 Jahre Südtiroler Spitzbuam". Keine Ahnung, wer die sind, hört sich aber nach der richtigen Credibility für die Wiesn an. Anprobiert wird nicht.

Ich stürme raus aus dem Laden und ziehe mir das Schnäppchen in der Fußgängerzone an. "Da haben Sie aber ein schönes Hemd gekauft", sagt eine ältere Dame, die auf einer Bank sitzt, "war bestimmt teuer." - "Nee, nur 8,40 Euro", verkünde ich ihr voller Stolz. Mein innerer Peter Zwegat schlägt Purzelbäume.

Nun, da ich kleidungstechnisch als Oktoberfestgänger markiert bin, fühle ich mich auch legitimiert, am frühen Mittag auf offener Straße ein Bier zu trinken. Rein in den Supermarkt. 1,17 Euro inklusive Pfand für den halben Liter. Darum geht es hier ja: Schon leicht einen sitzen zu haben, bevor es aufs Gelände geht.

Das Bier ist längst leer, als ich ankomme. Bei der Einlasskontrolle interessiert sich niemand für meine Bauchtasche. Es hat seinen Grund, warum ich unter der Woche zur Mittagszeit auf die Wiesn gehe. Bis 15 Uhr, manchmal sogar bis 17 Uhr, gibt es vergünstigte Angebote.

Doch selbst die liegen nicht in meinem Budget. In den großen Zelten geht die Preisspanne vom Schweinerollbraten für 8,50 Euro im Hofbräu bis zum Mittagsmenü für 23,50 Euro im Käfer. Außerhalb der Zelte ist das Essen natürlich günstiger. Aber die Zeltatmosphäre gehört ja irgendwie dazu. Also bestelle ich eine Weißwurst. "Ein Paar", fragt mich der Kellner im Marstall, wo das Stück bis 14 Uhr 2,50 Euro kostet. "Nein, nur eine Weißwurst", antworte ich. "Eine Breze dazu?" - "Nein, nur eine Weißwurst." Ich komme mir reichlich bescheuert vor.

An den Nebentischen sehe ich prall gefüllte Teller. Der Kellner stellt mir einen Topf und hausgemachten Senf hin. Im Topf schwimmt einsam und verlassen eine Wurst. Daneben ein Stängel Petersilie, die schafft es auch nicht, das Bild weniger traurig zu gestalten. Ich zahle und schäme mich dafür, kein Trinkgeld zu geben.

Mehr oder weniger gestärkt fühle ich mich jetzt für eines der Fahrgeschäfte bereit. Beim Top Spin kostet die Fahrt bis 15 Uhr nur drei statt der üblichen fünf Euro. Also rein. Es geht hochhinaus, kopfüber und "weil's so schön war - die nächste Runde rückwärts", säuselt die Ansagerin ins Mikrofon. Mir ist schwindelig wie nach zwei Mass, als ich aussteige. Ich sollte mal mein Wasser auffüllen. Laut den Stadtwerken München fließt aus jedem Hahn auf dem Oktoberfest Trinkwasser. Kein Problem also - und völlig umsonst.

Mittlerweile ist die Sonne hervorgekommen. Unterhalb der Bavaria lasse ich mich für eine Zeit nieder und schaue aufs Treiben hinab. Zack: Riesenradfahrt gespart. Ich schaue ins Portemonnaie und zähle 14,93 Euro. Es ist recht klar, wofür der Großteil dieses Geldes draufgehen wird - für eine Mass natürlich. Fragt sich nur wo?

Wo es die günstigste Mass gibt

Lenins Ehefrau schrieb mal über das Hofbräubier, dass dieses alle Klassenunterschiede verwischen würde. Jetzt zählt es mit 10,90 Euro zu den teureren Bieren auf der Wiesn. Im Schottenhamel, im Paulaner und bei der Fischer-Vroni kostet es sogar noch fünf Cent mehr. Am günstigsten kommt man mit 10,60 Euro im Museumszelt auf der Oidn Wiesn weg. Aber die kostet ja auch drei Euro Eintritt. Da müsste ich sehr, sehr viel auf der Oidn Wiesn trinken, um das wieder rauszuholen. Also auf zum Augustiner, wo ich mir eine Mass für 10,70 Euro bestelle. Dem Blick der Bedienung weiche ich aus, als ich wieder kein Trinkgeld gebe. Noch nie habe ich so penibel darauf geachtet, dass das Glas zufriedenstellend gefüllt ist. Hier passt aber alles.

Ich sitze im Biergarten und hole mein zweites Käsebrot raus. Kurze Umfrage bei den Umsitzenden: Was sind Ihre Wiesn-Spartipps? "Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht." - "Man sollte hier im Augustiner oder bei der Ochsenbraterei sein Bier trinken."- "Keine Ahnung, ich habe heute schon 60 Euro ausgegeben." - "Dienstags zum Familientag gehen."

Der letzte Tipp ist tatsächlich gut, für Familien zumindest. Nun ja, ich bin alleine hier, die Mass leert sich schnell und der Himmel sieht bedrohlich dunkel aus. Ich sollte mir was zum Unterstellen suchen und so lande ich schließlich beim Teufelsrad. Für vier Euro kommt man hinein, kann solange bleiben wie man will. Genau das Richtige, um den Regen zu überdauern.

Gemeinsam lacht man hier über die jungen und alten Menschen, die einer nach dem anderen von der Drehscheibe geschleudert werden. Hier fühle ich mich das erste Mal zugehörig. Irgendwann geht mir aber der etwas herablassende Humor des Ansagers auf die Nerven. Und so trete ich den Heimweg an. Die letzten 23 Cent behalte ich zur Kostendeckung der Käsebrote ein.

Das war's. Fazit: Wer mit 30 Euro auf die Wiesn geht, fühlt sich so wie damals als Kleinkind im Supermarkt - all die tollen Süßigkeiten und Spielzeuge, und am Ende darf man nur einen Lolli mitnehmen. Dort, wo das Herz der Wiesn schlägt, in den Festzelten, kommt derjenige, der aufs Geld achten muss, nie richtig an. Klar, kann man die ewige Die-Wiesn-wird-jedes-Jahr-teurer-Debatte langweilig finden. Aber man muss sich schon fragen, ob man das Ganze noch als Volksfest durchgeht. Für die Zukunft nehme ich mir jedenfalls vor: entweder aufs Biertrinken konzentrieren - oder nicht hingehen.

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