Oktoberfest-Attentat:Neben der Spur

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Am 26. September 1980 war eine Bombe am Eingang des Festgeländes inmitten einer Menschenmenge explodiert. (Foto: Istvan Bajzat/dpa)
  • Oktoberfest-Attentat: Akribisch verfolgt die Sonderkommission "26. September" jeden Hinweis.
  • Eine nicht ganz unwichtige Aussage aber mussten die Ermittler inzwischen zu den Akten legen.
  • 13 Menschen starben am 26. September 1980, als der Rechtsextremist Gundolf Köhler eine Bombe auf dem Volksfest zündete.

Von Annette Ramelsberger und Katja Riedel

Am Morgen nach dem Attentat, sagte die Zeugin, habe sie bei einem Bekannten in einem Aussiedlerheim in München einen Spind geöffnet. Zwei Pistolen habe sie gefunden und Flugblätter. Darauf habe der Name Gundolf Köhler gestanden. Der Name des Bombenlegers vom Oktoberfest. Stunden bevor der Name offiziell bekannt wurde.

Die Aussage dieser Zeugin führte im Dezember 2014 dazu, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nach den Hintermännern des schwersten Anschlags mit rechtsextremistischem Hintergrund seit dem Krieg wieder aufnahm - nach mehr als drei Jahrzehnten. 13 Menschen starben damals, unter ihnen der Attentäter, mehr als 200 wurden verletzt. Die Aussage der Frau ist die Spur Nummer 1 der Soko "26. September". Seit neun Monaten nun klopfen die Mitglieder der Soko ab, was an der Aussage dran ist: Sie haben den Hausmeister des Aussiedlerwohnheims ausfindig gemacht, mit damaligen Mitbewohnern geredet, mit Kommilitonen der Frau. Sie haben sogar den Mann gefunden, in dessen Spind, so sagt sie, die Flugblätter lagen.

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35 Jahre nach dem verheerenden Attentat auf das Münchner Oktoberfest mehren sich Hinweise auf einen zweiten Sprengsatz. Ein Zeuge hatte schon 1980 seine Beobachtungen mitgeteilt. Damals nahm ihn jedoch keiner ernst.

Verblüffung bei der Vernehmung

Mitte 60 ist der Mann, er lebt zurückgezogen in München. Belesen ist er, geschichtlich beschlagen, kunsthistorisch versiert. Ein Mann, der die Berichterstattung über das Attentat verfolgt hat, auch die Berichte über die neue Spur. Und der, nachdem er schon einige Stunden bei der Polizei saß und viele Fragen über seine Jugend gestellt bekam, erst allmählich verstand, warum er gefragt wurde. Und dann, so heißt es in den Vernehmungsprotokollen, völlig verblüfft war: "Ich soll das sein?"

Seitdem ist alles, was er und die Zeugin berichteten, miteinander verglichen und auf Belege abgeklopft worden. War der Verdächtige damals in Südamerika gewesen, wie die Zeugin sagte? Ja, aber nicht in Argentinien, sondern in Brasilien. Wann war er dort gewesen? Nicht im Herbst 1980, wie die Zeugin berichtete, sondern erst Anfang 1982 - das beweisen Briefe seiner Verwandten, die sich für den Besuch bedankten. Hatte er damals rechte Ansichten? Nicht wirklich, sagt er, er habe die Zeugin damit nur reizen wollen. Hatte er Kontakte zu Rechtsextremisten? Nichts, was sich beweisen ließe. Und die Flugblätter, die Pistolen? Die hatte der Mann, so sagt er, nie gesehen.

Es habe nicht mal einen Spind gegeben. Auch das prüften die Ermittler nach. Und fanden die Münchner Abendzeitung von 1980, die kritisierte, dass die Aussiedler keine Schränke hätten. Der Mann sagte, er habe seine Sachen unterm Bett verstauen müssen. Doch auch das reichte nicht, um die Spur Nummer 1 zur Seite zu legen.

Mittlerweile gibt es 236 neue Spuren

Jedes Detail zählt: Ein Opfer schickte den Polizisten Bombensplitter, die ihm herausoperiert wurden. (Foto: Annette Ramelsberger)

Die Soko hat die Bevölkerung aufgerufen, Bilder und Videos von dem Abend auf dem Oktoberfest zu bringen, alles, was es noch gibt. Opfer schickten daraufhin sogar Bombensplitter ein, die ihnen aus dem Körper operiert worden waren. Und Teile jenes Papierkorbs, in dem die Bombe explodiert war. Vielleicht kann man daran noch Schmauchspuren erkennen.

Nach Informationen der SZ gibt es mittlerweile 236 neue Spuren, einige davon gewichtig. Die Soko hat 500 Akten abgearbeitet und mehr als 100 Zeugen vernommen. Jeden Tag schwärmen die Beamten aus und fragen alle, die sie noch zu fassen kriegen - die Opfer von damals, die Retter, die Polizisten. Ob sie Gundolf Köhler gesehen haben, ob Männer bei ihm waren, wo und wann. Es sind die Kernfragen: Handelte Köhler allein, oder hatte er Mitwisser? Schon 1980 hielten viele Ermittler es für unmöglich, dass ein 21 Jahre alter Student allein den Terrorplan ausgearbeitet, den Sprengstoff besorgt, die Bombe gebaut und nach München transportiert hatte. Doch man fand keine Hintermänner.

Die Beamten recherchieren in einer Zeit, als es noch keine DNA-Analyse gab, auch keine digitalen Akten - nur Papier. Zum allerersten Mal redet nun der Chef der Soko, Mario Huber, über diese Arbeit, bedacht darauf, kein Wort zu viel über die Ergebnisse zu verraten. "Es ist das Ziel der Soko, die Mittäter Gundolf Köhlers zu finden, falls es welche gab, und alles dafür zu tun, dass sie vor Gericht gestellt werden können, falls sie noch leben", sagt Huber und weiß doch, wie gering die Chancen sind, nach 35 Jahren. "Das ist eine echte kriminalistische Herausforderung, und jeder von uns hat das Ziel, diese Herausforderung zu bestehen, das Rätsel zu lösen. Keiner von uns sagt: ,Da kommt sowieso nichts raus'", sagt Huber. "Da ist keiner dabei, den man zum Jagen tragen muss."

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Er hat damals nur knapp überlebt. Heute wirft seine Aussage ein neues Licht auf den schwersten Anschlag der Nachkriegsgeschichte. Besuch bei einem Zeugen.

Von Annette Ramelsberger und Katja Riedel

Es gibt genug, dem sie hinterherjagen müssen: Nicht nur Spur Nummer 1, auch dem Hinweis, demzufolge ein abgerissener Finger, der damals Köhler zugeordnet worden war, womöglich einem Mittäter gehörte. Der Abdruck von diesem Finger stimmte mit Abdrücken auf einem einzigen Blatt von Köhlers Studienunterlagen überein. Allerdings nicht mit den Abdrücken auf dem Lenkrad seines Autos. Das treibt auch die Ermittler um. Gerne würde man die DNA-Spuren heute vergleichen. Doch der Finger wurde vernichtet, der Leichnam von Köhler verbrannt. Nirgendwo lassen sich mehr DNA-Spuren nehmen. Die Ermittler haben es in einem letzten Anlauf dennoch versucht: Der abgerissene Finger wurde 1980 in Stempelfarbe gewälzt und der Abdruck auf einer Karteikarte festgehalten. Die Karteikarte gibt es noch. Hatten sich vielleicht in der Stempelfarbe winzige DNA-Spuren erhalten? Sie probierten es, aber fanden nichts mehr.

Sie gehen auch einer anderen Spur nach: dem Hinweis, dass sich ein möglicher Mittäter in ein Krankenhaus in Hannover begeben hat. Eine Krankenschwester hatte erklärt, sie habe Ende September 1980 einen jungen Mann als Patienten gehabt, der erstaunlich unberührt davon gewesen sei, dass er eine Hand verloren hatte. Nun wühlen sich die Ermittler durch die Vergangenheit des dortigen Nordstadt-Klinikums. Es gibt sogar noch Krankenakten, aber an die kommen sie nicht ran, dafür reicht der vage Verdacht nicht aus. Nun befragen sie Ärzte und Pflegepersonal.

Widersprüchliche Zeugenaussagen

Sie werden sich auch durch die Stasi-Akten arbeiten, durch die Akten von BND, Verfassungsschutz, Innenministerium und versuchen, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Bisher haben sie mit einem Muster zu tun, das sie ratlos lässt. "Vieles widerspricht sich", sagt Huber. Die einen Zeugen haben Köhler mit vier Männern im Auto gesehen, die anderen mit zwei Frauen. Die einen haben ihn am Tatort mit zwei Männern beobachtet, die anderen allein. Die einen sahen eine Bombe, die anderen zwei. "Wir sagen bei keiner Aussage, das ist ein Schmarrn", so Huber. "Wir fragen nur: Was spricht dafür, was spricht dagegen?"

Und so haben sie auch Spur Nummer 1 "abgefieselt, bis nichts mehr da war". Am Ende haben sie sogar noch eine ehemalige Kommilitonin der Frau aufgetan, die den Verdächtigen und die Zeugin erst miteinander bekannt gemacht hatte. Dass sie sich davor nicht kannten, daran erinnern sich der Verdächtige und die Zeugin übereinstimmend. Diese Kommilitonin aber war erst im Oktober 1980 nach München gekommen, nach dem Anschlag. Sie konnte sie also erst danach zusammengebracht haben. Ganz offensichtlich hatte sich die Zeugin, so sicher sie sich auch war, um ein Jahr geirrt. Selbst wenn sie damals Flugblätter gesehen hätte, ließe das nicht auf Täterwissen des Mannes schließen. Denn da war der Name Gundolf Köhler schon allgemein bekannt.

Viel Aufwand, um eine einzige Spur auszuschließen. Aber so arbeiten sie, nichts dürfen sie übersehen. Diesmal muss alles gemacht werden, damit es keine Zweifel mehr gibt. Die Spur Nummer 1 haben sie abgehakt, nun machen sie weiter mit den Spuren 2 bis 236.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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