Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Attentat:München will sich erinnern

Lange hat die Stadt die Opfer des Oktoberfest-Attentats mit einigen Tausend Mark abgespeist, nun will sie eine Kultur des Erinnerns etablieren. Eine ganze Reihe an Projekten ist geplant.

Von Annette Ramelsberger

Die Verbitterung hat sich über Jahrzehnte eingegraben. Sie ist stetig gewachsen. Am Anfang, als die staatlichen Versorgungsämter die Opfer des Oktoberfestattentats als Simulanten nach Hause schickten und ihnen die Kostenübernahme für ihre Reha verwehrten. Dann, als sie mit ein paar Tausend Mark für zerstörte Glieder und zerstörte Lebensträume abgespeist wurden. Und später, als das Denkmal für ihr Leid Jahre auf sich warten ließ.

Am Ende dieser jahrelangen Enttäuschung erwarteten sich die 200 Verletzten und die Angehörigen der 13 Toten des Oktoberfestattentats nichts mehr von der Stadt. Als sie dann am 26. September 2015 zum ersten Mal nach Jahrzehnten zu einem städtischen Empfang geladen wurden, glaubten viele schon nicht mehr daran, dass sich die Stadt München noch ihrer erinnern will.

Das soll sich nun ändern. Die Stadt will diese Scharte auswetzen und nun endlich eine Kultur des Erinnerns etablieren. Vor allem mit Blick auf den 40. Jahrestag des Anschlags am 26. September 2020. Bis dahin sollen eine ganze Reihe an Projekten anlaufen. Eines der wichtigsten: ein Erinnerungsort in der Nähe des Anschlags am Eingang der Theresienwiese.

Eigentlich wollten sie ja in das ehemalige Brausebad, direkt am Eingang des Oktoberfestes. Der Bau aus der Jahrhundertwende hätte ideal gepasst. Und jahrelang gammelte er vor sich hin. Doch die Stadt war zu langsam. Eine Brauerei renovierte das Gebäude, das zum Zeitpunkt des Anschlags als öffentliche Toilette genutzt worden war. Statt an den Anschlag und seine Opfer zu erinnern, wird nun im ehemaligen Brausebad Bier ausgeschenkt. Das Restaurant "Das Bad" serviert bayerische Spezialitäten.

Aber es soll dennoch erinnert werden. Das Kulturreferat ist gerade dabei, einen Erinnerungsort mit Blick auf den Anschlagsort zu schaffen. Man soll dort erfahren, was 1980 hier geschehen ist und die Leidensgeschichten der Opfer hören können. Mehrsprachig und mit dem Smartphone abrufbar. Bisher steht hier nur das Denkmal, ein rostiges Halbrund aus Metall, wie zersiebt von Splittern. Zu Wiesnzeiten wird es von den Massen fast überrannt. Von Würde kann keine Rede sein. Auch das soll sich ändern. Die Stadt will das Denkmal besser einfrieden, sichtbarer und würdevoller gestalten.

Seit einigen Jahren versucht die Stadt zudem, die Erinnerungen der Anschlagsopfer zu bergen - für das gemeinsame Gedächtnis der Stadt. Denn die Erinnerung an das Attentat war weitgehend aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Viele Jüngere verwechseln es mit dem Anschlag auf die Mannschaft des Staates Israel während der Olympischen Spiele 1972. "Allein die DGB-Jugend hielt über Jahrzehnte durch", sagt Miriam Heigl von der Fachstelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Die jungen Gewerkschafter erinnerten jedes Jahr am 26. September an den Anschlag. Und natürlich der Anwalt vieler Opfer Werner Dietrich und der BR-Reporter Ulrich Chaussy. Von den Offiziellen kamen nur wenige.

"Der Umgang mit dem Oktoberfestattentat war für die Stadt München lange Zeit schwierig", sagt Sabine Schalm vom Kulturreferat, die sich stark für ein besseres Gedenken in der Stadt einsetzt. Man könnte auch sagen: ein blinder Fleck. Schalm war selbst erstaunt, welch geringe Rolle die Opfer spielten. "Ich dachte, die Adressen der Betroffenen wären an einer zentralen Stelle vorhanden. Aber vor einer Kontaktaufnahme mussten wir erst einmal aufwendig recherchieren."

Das plötzliche Interesse stieß dann nicht nur auf reine Freude. "Viele sagen uns: Gut, dass Ihr endlich was macht. Und manche sind enttäuscht: Warum kommt Ihr jetzt erst, nach so langer Zeit?" sagt Schalm. Mittlerweile arbeiten 15 bis 20 Betroffene des Anschlags gemeinsam mit Schalm daran, das Gedenken an das Attentat auf eine breitere Basis zu stellen. "Wir wollen das Gedenken in die Stadt und das kollektive Bewusstsein tragen", sagt sie. Im September wurde erst einmal eine Gedenktafel am Rathaus angebracht, die Inschrift haben Stadt und Überlebende gemeinsam entwickelt: "Ihr unbeachtetes Leid mahnt uns zur Fürsorge. Rechtsextreme Taten fordern unsere Wachsamkeit. München erinnert an alle Betroffenen und Todesopfer des Oktoberfest-Attentats vom 26. 9. 1980." Allein, dass es 38 Jahre dauerte, bis so eine Tafel ans Rathaus gehängt wurde, zeigt, wie sehr die Stadt dieses Attentat an den Rand geschoben hat.

Dabei wird das Leid vieler Betroffener mit den Jahren nicht leichter. Viele spüren mit zunehmendem Alter ihre Verletzungen stärker, sie brauchen Spezialschuhe, Physiotherapie, Traumatherapie. Seit einem Jahr bemüht sich die Stadt, vom Bund eine Entschädigung für die Betroffenen zu bekommen. Noch immer sind die 200 Verletzten nicht als Opfer terroristischer Gewalt anerkannt, obwohl der Täter ein Rechtsradikaler war.

Der Beauftragte der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern terroristischer Straftaten verwies sogleich auf die Bundesanwaltschaft, die ja noch ermittle. Und wenn der Generalbundesanwalt die Ermittlungen einstellt, was zu erwarten ist, gehen die Betroffenen wieder leer aus. Auch beim Bundesamt für Justiz, das für Härteleistungen zuständig ist, kam die Stadt nicht weiter. Außer einem Brief des Präsidenten, dass auch er noch die Bilder des Anschlags vor Augen habe, hat sich nichts getan. Eine Behandlung, wie sie die Betroffenen seit fast 40 Jahren kennen.

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SZ vom 24.05.2019/baso
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