Theresienwiese:Ein neues, würdiges Denkmal für die Opfer des Oktoberfestattentats

Theresienwiese: 224 Silhouetten aus Metall und Stahl sollen von September 2020 an auf der Theresienwiese stehen, in ihrem Inneren soll ein Glaskern leuchten.

224 Silhouetten aus Metall und Stahl sollen von September 2020 an auf der Theresienwiese stehen, in ihrem Inneren soll ein Glaskern leuchten.

(Foto: Simulation: Büro Müller-Rieger)

1980 starben beim schwersten rechtsextremen Terrorakt der Bundesrepublik 13 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Jahrzehntelang vernachlässigte die Stadt die Aufarbeitung. Ein neuer Gedenkort soll das nun ändern.

Von Christiane Lutz

Unübersehbar soll es sein. Raum einnehmen. Raum geben fürs Erinnern. Und daran erinnern, dass der Zufall auswählte, wer an dem Abend vom 26. September 1980 Glück hatte, und wer nicht. So haben es sich Überlebende und Angehörige der Opfer des Oktoberfestattentats gewünscht, und so wird es nun passieren. Das neue Denkmal wird auf einer Fläche von knapp 250 Quadratmetern gebaut, nahe dem Haupteingang des Oktoberfests auf der Theresienwiese.

Es wird aus 224 menschengroßen Silhouetten bestehen, die einzeln oder zu Gruppen aufgestellt an die Betroffenen erinnern. Jede Figur, jede Gruppe wird einen Begleittext erhalten, auf dem Informationen über das Attentat, die mühsamen Aufarbeitungsversuche der Stadt, die Ermittlungen und die Opfer digital oder analog abrufbar sind. Besucher können zwischen den Figuren umhergehen, sich einfühlen und sich Zeit nehmen, zu begreifen versuchen, was nicht zu begreifen ist.

Für die Betroffenen geht mit dem Bau dieses Denkmals ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Viel zu lang hatte die Stadt München die Aufarbeitung vernachlässigt und sich nicht um die Belange der Überlebenden gekümmert. Der Anschlag am 26. September 1980 war der schwerste rechtsextremistische Terrorakt der Bundesrepublik. 211 Menschen wurden verletzt, 13 Menschen starben, als eine zur Bombe umgebaute Handgranate detonierte. Ob der Student Gundolf Köhler wirklich allein handelte, ist bis heute ungeklärt. Am Tag nach dem Anschlag asphaltierte man in München den durch die Explosion entstandenen Bombenkrater erst einmal zu. Das Oktoberfest musste schließlich weitergehen.

Das 1981 errichtete Denkmal, heute bestehend aus einer Bronze-Stele und einer halbrunden Stahlwand, sollte dann die Opfer würdigen. Jedoch gefällt vielen von ihnen dieser Ort nicht. Zu unwürdig, zu unklar in seinem Wesen. Immer wieder stolperten außerdem Betrunkene während des Oktoberfests hindurch und verrichteten ihre Notdurft an dem Denkmal. Es bleibt aber bestehen, in unmittelbarer Nähe des neuen Erinnerungsortes.

Die Stadt begann erst in den vergangenen Jahren, sich der Aufarbeitung intensiver zu widmen. 2015 rief das Kulturreferat ein stadtgeschichtliches Forschungsprojekt ins Leben, das Schicksale, Lebens- und Leidensgeschichten der vom Attentat Betroffenen dokumentierte. Gemeinsam mit der Fachstelle für Demokratie hat das Kulturreferat die Bedürfnisse der Opfer zusammengetragen. Der Stadtrat richtete einen Fonds in Höhe von zunächst 50 000 Euro ein, um die Auswirkungen der Spätfolgen des Attentats zu mildern. Einige der Betroffenen haben bis heute oder inzwischen mit körperlichen Leiden zu kämpfen, die durch den Anschlag ausgelöst wurden. Man wollte das Oktoberfestattentat wieder in das kollektive Gedächtnis zurück holen.

Gedenkort Wiesenattentat 1980 in München, 2016

Das bisherige Denkmal steht am Ort, an dem die Bombe am 26. September 1980 explodiert ist - viele finden es unwürdig.

(Foto: Stephan Rumpf)

Im September 2018, also 38 Jahre nach dem Anschlag, ließ Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dann am Rathaus eine Gedenktafel anbringen, deren Text die Stadt mit den Überlebenden gemeinsam erdachte. Auch bei der Entwicklung einer Idee für ein neues Denkmal waren die Betroffenen beteiligt. Dieter Reiter sagt: "Bis heute wirkt die Vergangenheit nach. Vor allem die Betroffenen haben mit der Tat und ihren Folgen zu kämpfen. Mir ist es wichtig, dass wir in Zeiten erstarkender rechtspopulistischer Tendenzen daran erinnern, wie menschenfeindlich solche Ideologien sind. Und dass wir konkret und namentlich derer gedenken, die sterben mussten oder verletzt wurden." Kulturreferent Anton Biebl sagt: "Wir wollen an die vielen Betroffenen des Oktoberfest-Attentats erinnern und dabei die durchaus verschiedenen Vorstellungen von Überlebenden möglichst gut aufnehmen. (...) Nun wurde ein gestalterischer Ansatz gefunden, der das individuelle Gedenken mit allgemeinen Informationen zum Ereignis in Verbindung bringt."

Der Ältestenrat des Stadtrats und die Betroffenen des Attentats haben einem Entwurf des Gestaltungsbüros Müller-Rieger zugestimmt. Geschäftsführerin Monika Müller-Rieger sagt, sie sei beim Nachdenken über eine würdige Form für ein Denkmal immer wieder über diese erschreckend große Zahl gestolpert: 224 Betroffene, den Täter mitgerechnet. "Ich wollte diese Zahl im Raum sehen", sagt sie. Die schiere Masse erfahrbar machen. So entstand die Idee mit den Silhouetten. Die Figuren werden aus Metall und Stahl gebaut und einen leuchtenden Glaskern haben.

Dabei wird es nicht so sein, dass jede Figur eine historische Figur abbildet. Es soll vielmehr eine Stellvertretermenge sein, die auch der Tatsache Rechnung trägt, dass der Anschlag an jenem Abend 1980 jeden Oktoberfestbesucher hätte treffen können. "Wir haben uns vorgestellt, dass das die Situation kurz vor dem Attentat ist", sagt Müller-Rieger. "Die Menschen sind noch fröhlich, die gehen gerade aufs Fest, andere gehen nach Hause in dem Moment, in dem es passiert ist." Wer durch das Denkmal hindurch geht, so die Idee, wird also selbst Teil dieser Gruppe.

Die Stadt wird eine halbe Million für das Denkmal bereitstellen, der Bau soll bald schon beginnen. Denn die Theresienwiese ist nur wenige Wochen im Jahr für Bauarbeiten zugänglich. Bis 26. September 2020 soll der neue Erinnerungsort fertig sein und eröffnet werden. Dann jährt sich das Attentat zum 40. Mal.

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