Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Attentat:Berlin setzt zynische Prioritäten

Lesezeit: 1 min

Der Anschlag auf das Oktoberfest war das schlimmste rechtsradikale Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik. Dass sich die Regierung noch immer weigert, Informationen über V-Leute herauszugeben, ist ein Skandal.

Kommentar von Stefan Braun

Die Bundesregierung verweigert sich. Sie will partout nichts über jene V-Leute deutscher Geheimdienste offen legen, die zur Aufklärung des verheerenden Anschlags auf das Oktoberfest 1980 beitragen könnten. Das ist, 35 Jahre nach dem schlimmsten rechtsradikalen Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik, nichts anderes mehr als ein großer Skandal.

Ausgerechnet jetzt, da der Generalbundesanwalt aufgrund zahlloser Ungereimtheiten neue Ermittlungen gestartet hat, erklärt die Bundesregierung, ihr seien V-Leute und der Schutz ihrer Geheimdienste wichtiger als die Chance, womöglich zentrale Informationen über Umstände und Hintergründe des fürchterlichen Attentats zu erlangen.

Es wurden in diesem schrecklichen Fall frühzeitig Akten vernichtet. Es verschwanden schon Monate nach dem Attentat wichtige Beweise, die die These vom Einzeltäter Gundolf Köhler untergraben hätten. Ja, es gibt sogar ehemalige V-Leute, die mittlerweile öffentlich erklären, das Attentat sei von der Wehrsportgruppe Hoffmann ausgegangen. Trotzdem sagt die Regierung, der Schutz ihrer V-Leute sei wichtiger als die Wahrheit über den Tod von dreizehn Menschen herauszubekommen. Das ist zynisch und legt offen, welche Prioritäten diese Bundesregierung leiten. Und das nicht etwa in einer ersten spontanen Reaktion, sondern nach langer Abwägung.

Wachsendes Misstrauen gegenüber Geheimdiensten

Dass mit dieser Entscheidung das Misstrauen wächst, ob die Bundesregierung und die deutschen Geheimdienste nicht noch Schlimmeres verbergen, sollte in der Regierung niemanden mehr wundern. Es ist mitnichten widerlegt, dass damals beteiligte V-Leute nicht nur zur Aufklärung beitragen könnten, sondern selbst ins Attentat verstrickt waren.

Nach Aufdeckung der Mordserie des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds hat es viel Bestürzung und von allen Seiten sehr viele Versprechen gegeben, dass man künftig anders mit derlei Katastrophen umgehen werde. Die Bundesregierung beweist jetzt, dass ihr im Ernstfall Zudecken doch wichtiger ist als Aufklären. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass Grüne und Linke an der Stelle immer wieder nachgefragt haben. Und es ist unverzichtbar, dass die Opposition vors Bundesverfassungsgericht zieht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2429483
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.