Oktoberfest als Theaterinszenierung:Dieter Reiter meistert seinen Hamlet-Moment

Das Publikum ist von der Premiere der zweiwöchigen Langzeitperformance "Das Oktoberfest" begeistert. Nur ob die Rolle des Ministerpräsidenten nächstes Jahr nochmal mit Debütant Markus Söder besetzt wird, ist fraglich.

Theaterkritik von Christiane Lutz

Erwartungsgemäß mitreißend war die Eröffnungspremiere "Das Oktoberfest - Der Anstich", die traditionell am Beginn der zweiwöchigen Langzeitperformance "Die Wiesn" auf der Theresienwiese steht und im Schottenhamel von Michael Schottenhamel inszeniert wird. Auf eine werktreue Nachstellung des Originalmythos "Das Oktoberfest" von 1810, in dem eine Hochzeit eine zentrale Rolle spielt, verzichten die regieführenden 16 Wiesnwirte seit vielen Jahren.

Die Rolle des Oberbürgermeisters spielt in diesem Jahr Oberbürgermeister Dieter Reiter, die des Ministerpräsidenten übernimmt Ministerpräsident Markus Söder. Reiter lieferte eine überzeugende Darbietung. Es tut OB Reiter sichtbar gut, dass er die Rolle bereits zum wiederholten Male spielt. Die nicht unheikle Anstich-Szene, die in ihrer theaterwissenschaftlichen Bedeutung durchaus mit dem "Sein oder nicht sein"-Monolog aus Hamlet zu vergleichen ist, gelingt ihm emotional eindrücklich und kraftvoll. Ausgebuht wurde hingegen Ministerpräsident Söder. Sein Ministerpräsident blieb eher hölzern und seltsam unempathisch. Söders Versuche, spielerische Spontanität zu beweisen, indem er auf sein großes Rollenrepertoire (zum Beispiel als Finanzminister) hinwies, goutierte das Publikum nicht. Fraglich, ob er nächstes Jahr noch einmal besetzt wird.

Zu bemäkeln ist, dass Frauen bei der Inszenierung wieder einmal nur schmuckes Beiwerk waren. Zwar ist die Rolle des Münchner Kindl - bekanntlich ein Mönch und somit ein Mann - lang schon nicht mehr den Männern vorbehalten. Seit 2016 spielt Viktoria Ostler die Rolle, jedoch begnügte sich Regisseur Schottenhamel damit, sie untätig auf das von Oberbürgermeister Reiter anzustechende Bierfass zu setzen.

Wer die Inszenierungsgeschichte von "Das Oktoberfest", auch "die Wiesn" genannt, verfolgt, weiß, dass dem Publikum seit jeher eine entscheidende Rolle zukommt. Hochkarätige Prominenz hatte sich deshalb Premierentickets gesichert. Im Zelt waren beispielsweise Gerhard Schröder (hat mal die Rolle des Bundeskanzlers gespielt) und Florian Silbereisen anwesend, der dem Publikum durch seine subversiven Schlager-Happenings bekannt sein dürfte.

Nach der Anstich-Szene franst die Inszenierung aus

Schröder und Silbereisen wissen, dass "Die Wiesn" ihre betörende Wirkung erst im Austausch mit anderen Zuschauern entfaltet. Es ist Teil des Inszenierungskonzepts, Körpergrenzen nicht ganz so ernst zu nehmen, was den einzelnen Zuschauer durchaus überfordern soll. "Die Wiesn" lebt auch vom Prinzip der unfreiwilligen Nähe und spontanem Zwangsschunkeln, was als aktuelle Analogie auf die immer dichter bevölkerten Städte und den Wohnraummangel in München gedeutet werden kann.

Nach der Anstich-Szene franst die Inszenierung dann allerdings leider etwas aus. Der Oberbürgermeister in der Rolle des Oberbürgermeisters verschwindet zusehends hinter den Vertretern der Presse, die anlässlich der Premiere in zu großer Zahl zugelassen worden waren. Der Ton ist schlecht. Zuschauer beginnen zu essen. Hier hätte der strenge Eingriff eines Dramaturgen Not getan, den Spannungsbogen wenigstens ein paar Minuten länger aufrecht zu erhalten.

Erfreulich ist dann wieder der Einsatz des Orchesters. Dieses beherrscht nicht nur den Defiliermarsch und das angenehm volksnahe "Ein Prosit", sondern auch ein ansprechendes Medley aus Opern-Hits wie Offenbachs "Can Can" und der Ouvertüre aus "Carmen". Die Musiker tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass die Arbeit dann doch ohne weiteres Holpern in die traditionelle Langzeitperformance übergleitet, die im Anschluss an "Der Anstich" folgt. In den 16 Zelten fügen die Regisseure zwei Wochen lang die immer gleichen Elemente zu einer Collage zusammen: eilende Bedienungen, klirrende Maßkrüge, der Duft von Hendl und Bratensoße, präsentiert vor einem von Zelt zu Zelt kaum variierenden Klangteppich eingängiger, voralpenländischer Musik. All das soll den Zuschauer das Gefühl für Zeit und Raum, oben und unten, Kotzen oder Knutschen so lang kritisch befragen lassen, bis er sich schließlich der unwiderstehlich Gesamtästhetik dieses theatralen Massenereignisses hingibt.

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