Der Anstich in der Schützenlisl am ersten Wiesntag lief wie geschmiert, als wäre alles wie immer. Kabarettistin Monika Gruber zapft mit zwei Schlägen das erste Fass an und Wirt Lorenz Stiftl begrüßt kurz die Gäste, bevor die Musik aufspielt. Anders als seine Ehefrau Christine zeigt er sich weder ergriffen noch findet er rührselige Worte, obwohl die beiden heuer zum letzten Mal als Wirte der Schützenlisl auf der Bühne stehen. „Ich bin ein Mensch der Einfachheit“, wird er später sagen. Sentimentale Reden seien nicht seine Art.
Seit vier Jahren führen Lorenz und Christine Stiftl das Volkssängerzelt Schützenlisl auf der Oidn Wiesn. Nun verkaufen sie das Zelt (an wen, dazu später mehr), um sich ihrer neuen Aufgabe zu widmen: Im nächsten Jahr ziehen sie hinüber auf die große Wiesn und folgen Arabella Schörghuber als Wirte des Paulaner Festzelts nach.
In das Wirtshaus Spöckmeier am Marienplatz, das Stiftls bereits zehn Jahre geführt hatten, bevor es umgebaut und von Arabella Schörghuber übernommen wurde, sind sie schon vergangenen Juni wieder zurückgekehrt. „Den Laden kennen wir in- und auswendig“, sagt Lorenz Stiftl. Beim Paulanerzelt sieht das anders aus. Mit insgesamt rund 8400 Plätzen gehört es zu den größten Zelten auf der Wiesn und hat fast fünfmal so viele Plätze wie die Schützenlisl. „Wer wär' da nicht nervös?“, lacht der neue Wirt.

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Denn mit einem größeren Zelt wachse auch die Verantwortung, findet Stiftl: „Hier in der Schützenlisl gehört uns alles selbst, aber drüben tragen wir auch Verantwortung für die Brauerei und deren Mitarbeiter.“ Das begreift die Familie Stiftl aber als Chance. Sie hat sich nicht zum ersten Mal auf ein großes Brauereizelt beworben, zuletzt vor drei Jahren auf die Bräurosl, die dann aber an Peter Reichert ging.
Warum es nun dieses Mal geklappt hat? „Das liegt bestimmt auch an der Infrastruktur, die wir intern haben“, sagt Lorenz Stiftl. Zu seinem Portfolio und dem seiner Frau gehören drei Wirtshäuser (Spöckmeier, Zum Stiftl, Hackerhaus) sowie der Stehausschank Zum Stiftl in der Innenstadt und auch eine eigene Metzgerei, Produktionsküche und Wäscherei sowie eigene Büros für Personal und Veranstaltungen. Zudem bespielen Stiftls rund ums Jahr kleinere Volksfeste.
Das Paulanerzelt wird vielleicht das größte Zelt sein, das Stiftls auf der anderen Seite der Oidn Wiesn führen werden, es ist aber nicht das erste. Von 2002 bis 2022 waren sie bereits mit dem Wienerwald-Zelt, das später in „Zum Stiftl“ umbenannt wurde, auf der großen Wiesn vertreten – „genau gegenüber vom Paulaner!“, ruft Lorenz Stiftl. Damals habe er sich immer für eine kurze Pause vom eigenen Zelt auf den Paulaner-Balkon hinüber gestohlen. „Jetzt kehren wir wieder auf unseren Ursprungsplatz zurück, bloß auf die andere Seite.“

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Es sei ein großes Glück, findet Christine Stiftl, dass sie sich heuer noch mal das Paulanerzelt genau anschauen können, bevor sie im nächsten Jahr selbst heranmüssen. „Wir sind gerade fast täglich drüben und schauen uns alles an“, sagt Lorenz Stiftl. Aber auch andere Zelte besuchten sie in diesen Tagen, achteten auf Musik und Lichtkonzepte und seien mit Kollegen im Austausch. Vor allem der Reservierungswechsel sei interessant zu beobachten.
Dafür seien Stiftls gleich am ersten Nachmittag nach dem Anstich hinübergelaufen. Dort sei das Zelt reibungslos Box für Box geleert und befüllt worden, damit Küche, Schänke und Service nicht überlastet werden. „Der erste Tag ist immer der schwierigste“, findet Lorenz Stiftl. Da müsse die ganze Mannschaft abgestimmt werden und alles müsse ineinandergreifen „wia a Zahnradl“. Deshalb sei es auch der erste Tag des Oktoberfestes 2026, der bei Stiftls für die meiste Anspannung sorgt – aber auch für die meiste Vorfreude.
„Jetzt dürfen wir ja beim Einzug mitfahren“, sagt Christine Stiftl. „Wenn ich mir vorstelle, wie wir aus der Kutsche aussteigen und zum ersten Mal ins volle Zelt reingehen, kriege ich jetzt schon Gänsehaut!“ Ein Moment, wie wenn ein Fußballer ins Stadion einläuft, so stellt es sich ihr Ehemann vor. Ihre Belegschaft von der Schützenlisl wollen Stiftls mitnehmen, soweit möglich, und wer vom Paulanerzelt bleiben mag, sei ebenfalls willkommen.
„Unsere Mitarbeiter sind das Wichtigste, sie sind die Software“, sagt Lorenz Stiftl. „Das Zelt, mei, das ist Hardware, so schön es auch ist und so viel wir reingesteckt haben.“ Anders, als von manchen Lokalzeitungen berichtet, sei die Schützenlisl bisher nicht verkauft. Diesen Schritt werden Stiftls wahrscheinlich erst nach der Wiesn gehen. Vorab verraten sie nur so viel: Es gebe fünf bis sechs Interessenten von verschiedenen Brauereien.
Die Speisekarte im Paulanerzelt soll künftig zum Großteil aus regionalen und Bio-Produkten bestehen
Die Schützenlisl neben dem Paulanerzelt weiterhin zu betreiben, sei für die Familie Stiftl keine Option gewesen. „Da wär' man nur halb bei der Sache und wir müssen uns jetzt voll konzentrieren“, sagt Christine Stiftl. Denn es müssen nun viele Entscheidungen getroffen werden: Wie das Musikprogramm künftig aussehen soll, das in der Schützenlisl eine tragende Rolle spielte; ob Monika Gruber weiterhin ansticht oder doch der Paulaner-Braumeister, wie es bislang Tradition war; und welche Gerichte zu welchem Preis auf die Speisekarte kommen. All das lassen Stiftls offen.
Die Preiskalkulation obliege den Wirten, meint Lorenz Stiftl. Sein hoher Anspruch an Produktqualität dürfte mit hineinfließen, denn wie in der Schützenlisl wolle er auch im Paulanerzelt die Speisekarte zu etwa 70 Prozent mit regionalen und Bio-Produkten bestücken. Bio-Hendln aus Bayern, wie Stiftls sie auf kleineren Volksfesten anbieten, könnten sie aber bei solchen Mengen nicht ermöglichen.
Jetzt gilt es aber, erst einmal das diesjährige Finale erfolgreich zu Ende zu bringen. Lorenz Stiftl grüble schon länger darüber nach, was er in den letzten Minuten sagen will. Eine lange Rede werde es aber nicht werden und auch sonst verzichte man auf Brimborium: „Feuerwerk und Sternwerfer brauchen wir alles nicht.“ Die Mitarbeiter kämen ein letztes Mal auf die Bühne und die Musik (Stiftls haben sich für den letzten Tag ausdrücklich die Kapelle Josef Menzl gewünscht) spiele zum Abschluss das Schützenlisl-Lied gefolgt von der Bayernhymne – wie an jedem anderen Tag zuvor auch.

