Um neun Uhr öffnet das Oktoberfest seine Tore – und wenige Sekunden danach liefern die Wartenden an der Bavaria schon die erwarteten Bilder: Wie bei einem 100-Meter-Lauf sprinten die Männer und Frauen, größtenteils in Tracht gekleidet, los. Erwartbares Chaos auf engstem Raum: Flaschen zerschellen auf dem Asphalt, ein paar Läufer stürzen, richten sich auf, rennen weiter. Der erste Preis des Sprints ist heute kein Platz auf dem Siegertreppchen, sondern einer auf einer Bierbank. Wer keine Reservierung am Eröffnungstag hat, muss schnell sein.
Und die Sicherheitskräfte am Eingang? In diesem Jahr zusätzlich mit handbetriebenen Metalldetektoren ausgerüstet, was tun die? Die schauen dem Treiben zu, niemand stellte sich in den Weg. Wer wollte es ihnen bei dieser trampelnden Wiesngängerherde verdenken.
Am Haupteingang spielen sich ähnliche, wenn auch zunächst gemäßigtere Szenen ab. In den ersten Sekunden halten sich die Besucherinnen und Besucher noch an die „Nicht drängeln“-Ansage. Die Masse bewegt sich Arm an Arm um die Ecke, doch auf der Hauptstraße angelangt, laufen die Menschen los und der Ansturm auf das Festgelände hält 15 Minuten an.
Aber hatten die Oktoberfest-Verantwortlichen nicht angekündigt, dass die Kontrollen an den Eingängen verstärkt werden als Konsequenz aus den mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen von Solingen und München? Davon ist am frühen Morgen auf der Theresienwiese wenig zu sehen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagt nach dem Anzapfen, der Lauf um neun Uhr gehöre halt zum Oktoberfest dazu. Das lasse sich nicht anders lösen. Er gehe trotzdem „mit einem guten Gefühl auf die Wiesn“.
Für die Kontrollen sind die Veranstalter verantwortlich, doch auch die Polizei zeigt Präsenz, um notfalls eingreifen zu können. Polizeisprecher Andreas Franken sagt am Folgetag, vor dem Ansturm hätten durchaus Kontrollen durch die Sicherheitsleute stattgefunden. Dabei seien, so die Rückmeldung an die Polizei, keine verbotenen Gegenstände gefunden worden. „Die, die reingelaufen sind, waren nicht unkontrolliert. Die Leute standen zum Teil seit sechs Uhr an den Toren an, da hatten die Sicherheitskräfte Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen. Da wurden vor Öffnung der Eingänge schon Kontrollen vorgenommen und Leute abgesucht.“
Doch nicht jeder, der an diesem Tag zu den Tischen sprintet, stand zuvor brav in der Schlange an. Manche nutzen das allgemeine Chaos, um die Absperrungen direkt am Eingang zu überwinden und so abzukürzen. Diese Menschen hat mit großer Wahrscheinlichkeit niemand kontrolliert.
Frankens Fazit lautet dennoch: „Nach unserer Feststellung ist alles gut gelaufen.“ Ähnlich urteilt OB Reiter: „Die Sicherheitsleute haben alles getan.“ Und tatsächlich ist nach dem ersten großen Ansturm etwas von den angekündigten Sicherheitsverschärfungen zu beobachten. Taschen und Rucksäcke werden kontrolliert, die Wartenden – wie schon frühmorgens – blockweise immer ein Stück weiter durch die Metallbarrikaden am Eingang geschleust. Das entzerrt das Gedränge in den Warteschlangen.
Erstmals setzen die Sicherheitsleute dieses Jahr auch Metalldetektoren ein, um Messer oder andere gefährliche Gegenstände zu finden. Der Einsatz damit läuft ziemlich unkompliziert und meistens zügig ab. OB Reiter hatte vor dem Wiesnstart vorsorglich für Geduld geworben, es könne „mal ein paar Minütchen länger dauern“. Und je nachdem, welchen Eingang die Leute am ersten Tag der Wiesn nutzen, müssen sie mit unterschiedlich langen Wartezeiten rechnen – und mit strengeren oder lascheren Kontrollen.

Am Eingang P8 am Esperantoplatz etwa setzen die Sicherheitsleute sechs Metalldetektoren ein. Auf der gegenüberliegenden Seite der Theresienwiese an einem der Bavaria-Eingänge sind nur eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter dafür abgestellt. Sie ziehen stichprobenartig Besucher raus. Die meisten quittieren die zusätzliche Hürde mit einem Lächeln, man kennt es ja vom Flughafen.
Ein paar Sekunden pro Person dauert das Prozedere, bei dem der Metalldetektor an Armen, Beinen und Oberkörper entlang geführt wird. Danach geht es weiter Richtung Zelte. Die Leute scheint die zusätzliche Maßnahme nicht großartig zu stören. Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Wiesn sind über die Jahre ja immer intensiver geworden, Metalldetektoren sind eben nur eine weitere Ergänzung.
Aber nicht nur technisches Gerät ist an diesem ersten Wiesntag zu beobachten, sondern auch deutlich mehr Security im Vergleich zu den Vorjahren. Die Eingänge sichern immer mindestens zwei Reihen von Menschen mit gelben Westen, die immer wieder zu Ruhe und Ordnung aufrufen. 600 Polizisten werden während des Oktoberfests im Dienst sein. Hinzu kommen mehrere Tausend Ordner, rund 1200 bis 1500 setzt allein die Stadt ein, dazu noch die Securitys der Wiesnwirte. Am ersten Tag bleibt es bis zum Nachmittag beim Einlass ruhig, die Polizei kann von keinen Vorfällen berichten.


Zusätzlich zu den personellen Maßnahmen gibt es noch versenkbare Poller und Beton-Blumenkübel gegen Attacken mit Fahrzeugen. Zudem kann die U-Bahn-Station Theresienwiese nur einseitig verlassen werden. Herunter ans Gleis kommt man nur durch den Eingang am St.-Pauls-Platz.
Neben den Vorkehrungen, die jeder sehen kann, laufen auch im Hintergrund Kontrollen. Die Sicherheitsbehörden seien höchst wachsam, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), jedem Hinweis werde akribisch nachgegangen. Gefährdungshinweise gibt es für das Oktoberfest demnach aber nicht. Dennoch sei die abstrakte Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus hoch.
Am ersten Tag der Wiesn ist von einem Bedrohungsgefühl in den Zelten allerdings wenig zu spüren. Diejenigen, die einen Platz an einer Bierbank ergattern können, tanzen irgendwann ausgelassen darauf.