Jetzt, so kurz vor der Wiesn, freuen sich wieder alle auf die jahrelang eingeübten und lange vermissten Gepflogenheiten. Die einen begeben sich wie immer zwei Wochen lang auf Bier-und-Hendl-Diät, die anderen machen wie immer bis zur Genickstarre alle Fahrgeschäfte durch, die ganz anderen wiederum fahren in ihren traditionellen Oktoberfest-Urlaub ganz weit weg von München, am besten in Weltregionen, in denen sie Wörter wie Ochsensemmel oder Steckerlfisch garantiert nicht buchstabieren können.
Mit den Haferlschuhen scharren auch schon die Wiesn-Weisen, die nur dann richtig glücklich sind, wenn sie bei jeder Gelegenheit über das richtige Binden von Dirndlschürzen oder die wirklich, wirklich echte Miesbacher Tracht dozieren - zu lange mussten sie nun schon schweigen. Jetzt können sie sich bald wieder auf allen verfügbaren Kanälen über pinke Billigdirndl, an Geschirrtücher erinnernde Hemden und über den modischen Untergang des Abendlandes im Allgemeinen aufregen. Auch das gehört zur Tradition, auch wenn's kaum jemanden interessiert, am wenigsten diejenigen, die so rumlaufen.
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Die Vorfreude ist aber nicht gänzlich ungetrübt: Viele Wiesngänger haben jetzt, nach mehr als zwei Jahren Pandemie und Home-Office in Jogginghose, leidvoll festgestellt, dass nicht nur Rohstoffe knapp werden können, sondern auch Klamotten - und dass die gerade entmottete Lederhose dummerweise keinen Gummizug hat. Weil eine Ballonseidene irgendwie nicht so recht als Ersatz für die Hirschlederne taugt, treten sich viele Männer in den Trachtenabteilungen gegenseitig auf die Füße.
In manchen Läden geht es dieser Tage zu wie in der Mannschaftskabine eines Fußballklubs: Männer in Unterhosen stehen am Kleiderständer und suchen nach einer Größe größer, umgeben von einem durch Torschlusspanik ausgelösten Angstschweißdunst. Statt zum Beispiel um Fußball drehen sich die Gespräche nun um Konfektionsgrößen und darum, wie man den Corona-Bauch, der bei manchen tatsächlich aussieht, als hätten sie einen Fußball verschluckt, wieder los wird - aber erst nach der Wiesn, versteht sich. Der Herbsttrend 2022: Er geht eindeutig in Richtung Zweitlederne.