Auszapft is! Das Oktoberfest findet in diesem Jahr nicht statt. In einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstagmorgen erklärten Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das größte Volksfest der Welt für abgesagt. "Das Risiko ist schlicht und einfach zu hoch", sagte Söder bei dem Termin in der Staatskanzlei, in Bierzelten könne man keinen Abstand halten, "und man kann auch nicht mit Mundschutz arbeiten". Er und Reiter seien zwar bekennende Wiesn-Fans - "schließlich zapft der Oberbürgermeister das erste Fass an, und ich bekomme die erste Mass". Aber man lebe nun in anderen Zeiten, Vorsicht sei geboten.
Dieter Reiter sprach von einer "bitteren Pille" und vielen negativen Auswirkungen auf die Stadt. Die Verantwortung sei sehr groß, nicht nur für die 70 Prozent der Wiesn-Besucher, die aus ganz Bayern kämen, sondern auch für die rund zwei Millionen ausländischen Gäste aus der ganzen Welt. Letztlich habe man einfach keine andere Wahl gehabt: "Es kann Volksfeste in dieser Zeit nicht geben."
Die Absage kam alles andere als überraschend. Über den möglichen Ausfall des Festes war bereits kurz nach der Ausrufung des Katastrophenfalls durch Söder spekuliert worden, und die Anzeichen dafür mehrten sich von Woche zu Woche, auch wenn die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung tapfer und ausdauernd erklärten: "Wir bereiten die Wiesn weiter vor und entscheiden erst, wenn es notwendig ist." Besonders schnelle Medien hatten deshalb bereits am Montagabend als Tatsache verkündet, was in Wirklichkeit erst am Morgen danach feststand.
Tatsächlich wollte die Stadt als Veranstalter ursprünglich erst Mitte Juni entscheiden, ob das Oktoberfest in diesem Jahr stattfinden kann. Denn erst zu diesem Zeitpunkt hätten die Verträge für den Sicherheitsdienst auf der Wiesn geschlossen werden müssen, in den 16 Tagen sind dort insgesamt bis zu 1200 Security-Leute im Einsatz. Und der Aufbau der 14 großen Bierzelte hätte Anfang Juli beginnen müssen. Die Anzeichen für eine Absage hatten sich aber in den letzten Tagen verdichtet, sowohl Söder als auch Reiter hatten davon gesprochen, dass es "schwer vorstellbar" sei, dass es in diesem Jahr eine Wiesn geben könne.
In einer ersten Stellungnahme reagierte die Vereinigung der Münchner Wiesnwirte mit "großem Bedauern, aber auch großem Verständnis". Der Schritt sei logisch und notwendig, so Wirtesprecher Peter Inselkammer, "angesichts der Tatsache, dass es wohl noch einige Zeit dauern wird, einen Impfstoff und wirksame Medikamente gegen die Lungenkrankheit Covid-19 zu entwickeln". Die Gesundheit der Gäste habe natürlich Vorrang, auch wenn das für die rund 10 000 Menschen, die auf dem Oktoberfest arbeiteten, "ein herber finanzieller Schlag" sei. Die Entscheidung sei letztlich nicht mehr überraschend gewesen, sagt auch Inselkammer zur SZ: "Vor vier Wochen hätte ich allerdings noch etwas anderes gesagt." Man sei von den Ereignissen überrollt worden. Nun hoffe man auf eine umso schönere Wiesn im kommenden Jahr. Zu Spekulationen über den künftigen Bierpreis ließ sich Inselkammer nicht bewegen: "Wir haben da noch keine Kalkulationen angestellt", meinte er und muss dann doch ein bisschen lachen, trotz allem.
Peter Bausch, dem kommissarischen Präsidenten der Münchner Schaustellervereinigung, ist überhaupt nicht zum Lachen zumute. Er hat normalerweise auf der Wiesn das Fahrgeschäft Top-Spin stehen, "den kann ich leider nicht to go anbieten", sagt er bitter. Für die Schausteller bedeute das Wiesn-Aus einen "wirtschaftlichen Totalausfall für ein ganzes Jahr". Schließlich seien alle anderen Großveranstaltungen bereits bis Ende August abgesagt worden. Die Gesundheit stehe über allem, sagt Bausch. Trotzdem bestehe sein Jahr und das seiner Kollegen jetzt ausschließlich aus Ausgaben: "Wir brauchen Hilfe. Wir werden gerade überrollt, wie bei einer Naturkatastrophe."
Auch die Brauereien trifft die Absage hart. Zwar ist das Wiesn-Bier noch nicht eingebraut, das ist erst im Juli soweit und wird jetzt bei den meisten auf eine geringere Menge hinauslaufen. Aber die Wiesn ist auch eine weltweite Werbeveranstaltung, und deren Wegfall trifft eine Branche hart, die über rückläufige Umsatzzahlen klagt. Andreas Steinfatt, Vorstandsmitglied von Paulaner und Hacker-Pschorr und zugleich Sprecher der Münchner Brauereien, sagt, man sei von der Entscheidung "nicht mehr wirklich überrascht" worden, es sei ja klar gewesen, "dass die Wiesn heuer so nicht machbar" sei. Auch eine abgespeckte Version hätte keinen Sinn gehabt: "Die Wiesn ist ein Gesamtkunstwerk, da kann man nichts weglassen."
Als Kollateralschaden wird dieses Jahr auch das Zentral-Landwirtschaftsfest entfallen, das nur alle vier Jahre stattfindet und deshalb gerne auch mal "Bauern-Olympiade" genannt wird. Reiter hatte aber bereits deutlich gemacht, dass es ebenfalls entfallen muss. Der bayerische Bauernverband, der dieses Fest veranstaltet, äußerte Bedauern, aber auch "großes Verständnis". Unklar ist auch, ob das Zentral-Landwirtschaftsfest dann im kommenden Jahr nachgeholt wird.
Der städtische Referent für Arbeit und Wirtschaft sowie amtliche Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) sieht auch deshalb noch viel Arbeit auf seine Behörde zukommen. "Wie die Wiesn im nächsten Jahr aussieht", sagt er, "ob es ZLF und/oder Oide Wiesn gibt, muss man gemeinsam besprechen." Da müssten noch viele Runden, auch mit dem neuen Stadtrat, stattfinden.
Ministerpräsident Markus Söder hatte bei der Pressekonferenz jedenfalls schon mal vorgegeben, wie man sich ein Volksfest vorzustellen hat: "Gscheid oder gar ned!" Der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post wusste gleich, was unter "gscheid" zu verstehen sei. Bereits um 9.16 Uhr verkündete er per E-Mail: "Als Münchner Bundestagsabgeordneter fordere ich, dass die Wiesn 2021 wenigstens eine Woche länger stattfindet!" Dem Wunsch schlossen sich im Laufe des Tages dann noch weitere Mandatsträger an, etwa der Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Karl Freller (CSU).