Oktoberfest 2018:Warum Ruhestand, wenn man auch auf der Wiesn bedienen kann?

Bedienung Elfriede Enzenhofer im Löwenbräuzelt auf dem Oktoberfest

Sieben Masskrüge, mehr trägt Elfriede Enzenhofer lieber nicht mehr durch das Löwenbräuzelt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Elfriede Enzenhofer ist mit ihren 80 Jahren die wohl die älteste Bedienung auf dem Oktoberfest. Genug hat sie noch lang nicht, nur ganz so viele Masskrüge wie früher trägt sie nicht mehr.

Von Franz Kotteder

"Unsere Elfriede hat einen richtigen Fanklub", sagt Stephanie Spendler, die Wirtin vom Löwenbräuzelt. "Eigentlich ist das ein schwieriger Platz, ganz hinten im Eck. Es gibt aber Stammkunden, die wollen nur zu ihr und fragen jedes Jahr, ob sie auch ja da ist." Logisch. Schließlich besteht ja die Gefahr, dass Elfriede eines Tages doch nicht mehr bedienen mag, in der Box mit dem schönen Namen "Münchner Stuben". Denn bei allem Respekt muss man sagen: Elfriede Enzenhofer ist nicht mehr die Jüngste. Im Gegenteil: Sie ist die älteste Bedienung, mindestens im Löwenbräuzelt, wahrscheinlich aber sogar auf dem ganzen Oktoberfest. Im vergangenen Jahr hat sie nämlich ihren 80. Geburtstag gefeiert. Und trotzdem stand sie heuer wieder am ersten Wiesnsamstag voller Erwartung in ihrer Box.

Sie könnte ihren Ruhestand genießen, draußen in Herrsching am Ammersee, wo sie nun schon eine ganze Weile lebt. Aber das Nichtstun liegt ihr nicht, das sieht man schon der Wohnung an, die selbstverständlich picobello aufgeräumt ist "für den Besuch von der Zeitung", aber sicher nicht nur deswegen. Rumhocken, nein, das sei nicht ihr Ding. Sie hat darauf geschaut, dass sie etwas zu tun hat und nicht nur den ganzen Tag lang auf den See blickt.

Unten beim Seewirt hat sie einen Stand mit Modeschmuck, seit 18 Jahren. "Wir sind da unten bloß zwei Stände", erzählt sie, "aber ich wollte nie einen Laden, da habe ich bloß Unkosten." So ist sie vom Wetter abhängig, mit ihrem Dreimetertisch. Links und rechts davon steht eine Bank. "Ich bin da ein bisserl die Mutter Teresa", sagt sie, "oft kommen Leute und erzählen mir ihre Krankheitsgeschichten."

Die 16 Tage auf der Wiesn fordern da ganz anders, keine Frage. Man arbeitet im Viererteam in der Zeltbox, zeitweise haben zwei ihrer Töchter mit ihr bedient, jetzt nur noch eine, weil es die andere an der Hüfte hat. "Meine Kinder sagen: Du fährst noch mit dem Rollator raus zum Bedienen." Elfriede Enzenhofer muss zwar lachen, sagt aber dann: "Könnt' schon was dran sein."

Klar, es ist ein Knochenjob, 16 Tage lang Bierkrüge zu den Kunden zu schleppen. Zehn Mass hat sie früher getragen, heute sind es noch sieben, aber das reicht auch. "Man trägt die ja nicht mit dem ausgestreckten Arm, sondern zieht sie so zum Körper her." Elfriede Enzenhofer macht es vor. Die anderen in ihrem Team tragen nach wie vor zehn Masskrüge, zwei von ihnen sind das ganze Jahr in der Gastronomie tätig, die sind das gewöhnt. "Ich sage: Meine Bandscheibe ist mir mehr wert, ich trage sieben!"

Elfriede Enzenhofer ist eine große und kräftige Frau, und sie wirkt mindestens zehn Jahre jünger, als sie ist. Natürlich, sie hat schon auf sich geachtet, all die Jahre. Aber sie hatte auch bei Schicksalsschlägen immer eine positive Lebenseinstellung. Vielleicht liegt es daran, dass sie noch so fit ist. "Wissen S'", sagt sie, "ich bin eine Lustige, eine Redselige, ich habe ein sehr offenes Wesen."

Die gebürtige Münchnerin ist am Unteranger auf die Welt gekommen. Auf die Wiesn ist sie deshalb immer gegangen, aber ihren Mann, den hat sie nicht dort, sondern in Neuaubing kennengelernt. Vier Mädchen und zwei Buben entstammen aus dieser Ehe. Irgendwann, vor bald 40 Jahren, sagte eine Freundin, die schon auf der Wiesn arbeitete: "Woaßt was, Elfriede, das machst du auch! Da kannst du dir ein schönes Geld verdienen." Ihr Mann fand, das komme gar nicht in Frage, schon wegen der Antatscherei. Aber Elfriede setzte sich durch: "Wenn i des ned mog, dann tatscht mi koana o!"

Schlägereien, liebestolle Paare und Rosen als Dankeschön

Also ging sie zum Wirt Wiggerl Hagn, der damals noch den Rheinhof am Hauptbahnhof hatte und der zusammen mit seiner Tochter Stephanie Spendler bis heute das Löwenbräuzelt betreibt. Hagn fragte sie, ob sie lieber an die Kasse wolle oder an die Tische. Sie hatte erst Bedenken, ob sie so viel Masskrüge auch tragen kann. Aber Hagn habe nur gesagt: "Ganz einfach, Elfriede, du trägst nur so viel Bier, wie's halt geht. Nicht mehr." Da entschied sie sich für die Tische, weil es da ja auch noch Trinkgeld gab.

Mit sieben Tischen fing sie an. Und es hat ihr gleich so viel Spaß gemacht, dass ihr am letzten Abend die Tränen kamen, weil es vorbei war. Später kam die erste Tochter dazu, "die war nach Lübeck gezogen und hat dort mit ihrem Mann ein Haus gebaut, die konnten das Geld brauchen". Bis heute ist die Tochter dabei, reist jedes Jahr von Lübeck an.

Man erlebt ja auch so einiges, in der Box. Das Wildeste war die Geschichte, wie der Türke dem Engländer, der angeblich zu tief ins Dekolleté von dessen Freundin gelurt hatte, einen Masskrug über den Schädel zog. "Der brach blutüberströmt zusammen, wir riefen gleich den Notarzt." Später habe es geheißen, der Engländer sei seinen Verletzungen erlegen. Aber ein paar Tage später kam er wieder ins Zelt, um sich für die schnelle Hilfe mit vier roten Rosen zu bedanken. Nächstes Jahr komme er wieder, habe er gesagt, aber sie sahen ihn nie mehr wieder. Es war die einzige Rauferei in all den Jahren, in ihrer Box.

Familiärer Zusammenhalt im Zelt

Dafür gab es andere Aktivitäten. Einmal war die höchste Stimmung im Zelt, alle standen auf den Bänken. Nur ein Pärchen nicht, das war ganz hinten auf der letzten Bank zugange: "Als die anderen das mitgekriegt haben, haben sie auch noch im Rhythmus mitgeklatscht!" Elfriede Enzenhofer schüttelt den Kopf, nicht aus Empörung, eher aus Verwunderung, was auf diesem Fest so alles möglich ist.

Erlebt hat sie also mehr als genug auf der Wiesn. Vor allem aber hat sie der große, fast schon familiäre Zusammenhalt beeindruckt. Der reicht bis zur Wirtsfamilie Hagn und Spendler: "Das sind ganz, ganz liebe Wirtsleute!" Zu ihrem 80. im vergangenen November hat sie einen langen Brief von ihnen bekommen, in dem sie ihr wünschten, sie solle noch viele Jahre so bleiben, wie sie sei, denn schließlich gehöre sie zur Familie.

Eine Freundin, erinnert sie sich, hat sie damals am Anfang gewarnt: "Die Wiesn ist wie eine Seuche, die kriegst du nicht mehr los. Wenn du das einmal machst, machst du es immer wieder!" Und was soll man sagen: Recht hat sie gehabt!

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