Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Mama feiert die härteste Wiesn-Party

Unter all den Feierwütigen auf dem Oktoberfest sticht eine Gruppe heraus: junge Mütter mit Ausgang. Warum ihnen keiner so schnell was im Bierzelt vormachen kann.

Von Laura Kaufmann

Nicht der Dinghartinger Burschenverein, nicht der Betriebsausflug der Barkeeper, nicht die Triathleten beim Cheat-Day sind die härtesten Wiesngänger. Die wahrhaftig Feierwütigen im Bierzelt geben sich Komplimente wie "Wahnsinn, wie dein Dirndl nach dem Stillen wieder sitzt!" Sie werden ungeduldig, wenn der Kellner nicht schnell genug Nachschub bringt. Sie haben keine Zeit zu verlieren.

Es sind junge Mütter mit Ausgang. Für den freien Abend haben sie mit Papa verhandelt, Babysitter oder Schwiegermutter eingespannt. Abhängig von der Größe der Wiesnliebe und des Freundeskreises ist es einer von wenigen oder der einzige Abend im Bierzelt. Die meisten haben mindestens ein Oktoberfest ausgesetzt, schwanger oder mit Stillkind. Jetzt sind sie wieder an der Reihe - und das wird ausgekostet.

Die Arbeit mit Kitaöffnungszeiten unter einen Hut zu bringen, zehn Dinge gleichzeitig zu jonglieren und nebenher Trotzwut-Heulanfälle zu beruhigen, ist für sie täglich Brot. Sie sind Meister der Zeiteffizienz geworden. Jetzt haben sie ein paar Stunden im Bierzelt, die dem Rausch verschrieben sind. Der bierseligen Euphorie, dem sich in den Armen liegen, dem Schlager grölen. Radler oder gar Spezi bestellen? Ist da nicht drin. Stattdessen wandert ein Flachmann unter dem Tisch umher.

Mamas tragen aus Gewohnheit einen Haufen nützlicher Dinge herum, zum Beispiel Deospray. Das kommt auf benachbarten Lederhosenhintern zum Einsatz, wenn sich ein übler Duft den Weg herüberbahnt. Wer möchte sich schon den Hendlappetit durch fremde Gase verderben lassen?

Vielleicht wirkt ein Abend mit albern verkleideten Menschen, die die Kontrolle über ihre Körperöffnungen verlieren und sich bewegen, als hätten sie gerade erst Laufen gelernt, nicht auf den ersten Blick wie der perfekte Ausgleich. Andererseits können die Mamas dabei trinken und sich wie alle anderen im Bierzelt nach Herzenslust gehen lassen - was einem Therapieerlebnis gleichkommt. Und sie müssen nicht den Animateur spielen, sondern dürfen selbst Anweisungen befolgen: Die Hände! Zum Himmel! Gsuffa!

Nur Unwägbarkeiten wie Müdigkeit können einen vorzeitigen Abbruch dieser Bierzeltfreude erwirken. Schlafmangel lässt sich nicht wegtrinken, nicht mit Bier, nicht am Schnapsstand und erst recht nicht beim Gin Tonic auf der After-Wiesn-Party. Gut, dass Mama im Zweifel immer eine Ausrede hat: die Kinder.

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