U-Bahn-Ansager Theresienwiese:"Ned schiam, ned kratzn, ned beißn, das Bier reicht für alle"

Der Ansager an der U-Bahn-Station Theresienwiese, Norbert Grünleitner.

Voller Leidenschaft für das große Fest: Auch an seinem 50. Geburtstag war Norbert Grünleitner im Untergrund im Einsatz.

(Foto: Robert Haas)

Mit witzigen Sprüchen weist Norbert Grünleitner Besuchern den Weg zum Oktoberfest. Was der Ansager in der U-Bahnstation Theresienwiese in 23 Jahren erlebt hat - von Ehestreits, einer beinahe Geburt und Schuhplattlern am Bahnsteig.

Von Laura Kaufmann

Das kulinarische Angebot im Untergeschoss ist sehr viel begrenzter als die Rolltreppe hoch im Hendl-Zuckerwatte-Schlaraffenland, aber liebevoll zusammengetragen. Eine Tüte voller Magenbrot liegt auf dem Schreibtisch im "Pavillon", wie Norbert Grünleitner den Glaskasten auf dem U-Bahnsteig Theresienwiese nennt, die hat ein Wiesnbesucher vorbeigebracht. Die Tupperdose voller Brausestäbchen ist von einem Kollegen, für alle. "Der Zusammenhalt im Team, der ist besonders", sagt Grünleitner.

Er ist Gesamteinsatzleiter der Münchner Verkehrsgesellschaft für das Oktoberfest und koordiniert das Wiesn-Team. Für die Oktoberfestbesucher ist er der Mann mit den witzigen Ansagen. Er macht sie von der Kanzel im Pavillon herunter durchs Mikrofon: "Herzlich Willkommen auf der Theresienwiese, ned schiam, ned kratzn, ned beißn, das Bier reicht für alle!"

Erstaunlich geräumig ist der Pavillon von innen. Grünleitner, in seiner Uniform, helles Hemd, dunkelblaue Hose und eine Krawatte, die sich in einem Bogen über seinen Bauch schmiegt, sitzt auf seinem Bürostuhl. Um ihn herum vier Telefone, ein Zuglaufmonitor, ein Überwachungskamera-Monitor, Notbremseknopf, ein Faxgerät, das niemand mehr braucht, ein Masskrug voller Schießstand-Rosen, die Wiesnbesucher als Geschenke vorbeigebracht haben. Im Vorraum eine Kaffeemaschine, an der die Kollegen eine kurze Pause vom Wahnsinn draußen einlegen. Der Fahrerfunk ist das Grundrauschen im Büro. Die Geräusche vom Bahnsteig dringen nur gedämpft herein, wenn Grünleitner nicht auf die Sprechanlage drückt, um jemanden weiterzuhelfen.

Nicht alle sind schon im 23. Jahr dabei wie er, aber viele beinahe so lange. Von dem Kollegen mit den Brausestäbchen bis zu dem Ehepaar, das die U-Bahn-Aufgänge bewacht; sie den an der Paulskirche, er den an der Theresienwiese. Bei Grünleitner laufen die Fäden zusammen. Aber dass auch er damit nur ein Rädchen im Getriebe des reibungslosen Wiesnablaufs ist, das ist ihm wichtig festzustellen. Er ist keiner, der ein Riesenbohei um sich macht. Auch wenn es ihn freut, wenn die Leute an die Scheibe klopfen und ihm sagen, dass er einen super Job macht, oder dass sie ihn letztens im Fernsehen gesehen hätten.

"Nach Weihnachten fragen die ersten an", sagt er. "Du, ich bin schon wieder dabei nächstes Jahr, gell, du vergisst mich nicht?" Er macht die Planung für das Oktoberfest. Mehr als 6000 Extrafahrten gibt es, um die 200 Leute hat die Münchner Verkehrsgesellschaft zusätzlich im Einsatz, von Security-Mitarbeitern bis zu Stand-by-Technikern. "Wenn eine Rolltreppe defekt wäre, kommen die Leute zu Fuß nicht so schnell hoch", sagt Grünleitner. Dann müsste er die nächste U-Bahn, die wieder bis zu tausend zusätzliche Leute auf den Bahnsteig spuckt, im Tunnel warten lassen.

Eine Rolltreppe muss sofort repariert werden, um den reibungslosen Ablauf zu gewähren, alles greift ineinander. Natürlich stehen auch Sanitäter bereit, aber einen krassen Notfall, Person im Gleis zum Beispiel, das gab es bei ihm zum Glück noch nie, sagt Grünleitner. Dafür einmal eine Schwangere, "fast so einen großen Bauch wie ich", die die Treppe hinunterging und plötzlich Wehen bekam. Beinahe wäre das Kind auf dem Bahnsteig zur Welt gekommen, aber der Notarzt konnte sie doch noch ins Krankenhaus bringen. "Das müsst' jetzt auch schon zehn Jahre alt sein, das Kind", sagt Grünleitner.

An seinen ersten Wiesnbesuch kann sich der 52-Jährige gar nicht mehr genau erinnern. 14, 15 Jahre alt war er. Die Faszination packte ihn erst später. Und auch eher indirekt. Als er U-Bahn-Fahrer war und die fröhlichen und euphorisierten Menschen in schicken Trachten und lustigen Outfits einstiegen. "Du kriegst die gesamte Bandbreite an Leben mit, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt", sagt er, und sieht zu, wie sich die Türen der U 5 für die Wartenden aufschieben, wie sie alle gleichzeitig in die Waggons strömen und sich verteilen, der Bahnsteig sich wieder leert.

"Kumpels, die sich gegenseitig an der Lederhose nach Hause tragen, Ehestreits, geschuhplattelt haben sie hier unten - du hast den ganzen Querschnitt des Lebens da, das fasziniert mich immer wieder." Wie er "U 5, Laimer Platz" ansagt, das hat etwas beinahe Zärtliches. Engagiert wie ein Schausteller kündigt er die Fahrten an, nie gelangweilt, nie vernuschelt. "Ned traurig sein, die nächste kommt bestimmt", sagt er den Leuten, die eine Bahn nicht mehr erwischt haben.

Manche schauen kurz verdutzt und grinsen, manche kennen die Ansagen zur Wiesnzeit schon. Sie haben einen ernsten Hintergrund. Wenn Grünleitner sagt, sie sollen doch zu ihm in die Bahnsteigmitte kommen, da gäbe es die schönsten Madln und die feschesten Buam, dann sollen sich die alkoholisierten Massen einfach gut verteilen an den Türen. "99,9 Prozent sind absolut gut drauf. Klar gibt es Spinner, aber wir haben die U-Bahnwache da, und bevor was eskaliert, greifen die ein."

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Eigentlich hatte Grünleitner Kfz-Mechaniker gelernt. Aber als seine Tochter unterwegs war, suchte er nach einem besseren Auskommen. Auf das Trambahnfahren hatte ihn ein Kumpel im Verein gebracht, "damals hat man als Trambahnfahrer gut verdient". Der Verein, das sind die Kirchseeoner Perchten. Draußen in Eglharting ist der Einsatzleiter aufgewachsen. "Wenn du in Eglharting nicht im Verein warst, hattest keine Freunde", scherzt er. Den Brauchtum des Perchtenlaufs pflegt Grünleitner bis heute, aber eigentlich will er aufhören. Die Maske und das Kostüm sind schwer, die Rumhüpferei - mit über 50 muss das nicht mehr sein, meint er, aber seine Tochter, wegen der er einst zur MVG kam, ist mittlerweile 27 Jahre alt und im Vereinsvorstand. "Du musst den Leuten doch deine Maske zeigen, Papa!", sagt sie dann - und er ist eben doch wieder dabei.

In die Stadt ist Norbert Grünleitner nie gezogen, obwohl er den Trubel so mag. "Man kann es sich nicht leisten, ehrlich", sagt er. "Mir gefällt's auch auf dem Land. Ich kann alles zu Fuß erreichen, was ich brauche in Grafing - was braucht der Mensch mehr!" So zufrieden und gemütlich er wirken mag, so aufmerksam ist er nach allen Seiten. Alle Sinne geschärft, alle Monitore im Blick, den Funk im Ohr, die Geräusche von draußen. "Jetzt räumt er die Scherben weg", sagt Grünleitner, und ja, ein kaum hörbares Klirren, der Putzdienst hat sich des zerdepperten Masskruges angenommen.

Einmal im Jahr taucht Grünleitner richtig ein in den Wahnsinn über ihm. Dann geht er mit Kollegen ins Zelt. Immer woanders hin, ein bisschen Bier, ein Hendl essen. An seinem Geburtstag aber nicht. Der fällt zwar auch immer in die Wiesnzeit. Aber zu dem sitzt Norbert Grünleitner im Pavillon. Selbst bei seinem 50. vor zwei Jahren. "Aber da haben alle happy birthday für mich gesungen über das Mikro, und der ganze Bahnsteig hat mitgesungen", sagt er. Die Rührung ist ihm anzusehen. Ansonsten wisse aber jeder, dass er an seinem Geburtstag höchstens ganz kurz übers Handy zu sprechen sei, sagt der Einsatzleiter. Und es klingt, als wäre ihm das ganz recht.

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