Kontakte des OEZ-Attentäters:Das Netzwerk der Todesschützen

Gedenkort für die Opfer des Anschlags vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München

Am Olympia-Einkaufszentrum wurden am 22. Juli 2016 neun Menschen erschossen. Der 18-jährige Täter David S. handelte aus fremdenfeindlicher Gesinnung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • David S. chattete im Internet mit anderen Jugendlichen über Waffen und Massenmord.
  • Einer seiner Kontakte war ein Amerikaner, der nach der Tat von S. selbst zwei Jugendliche in New Mexico erschoss.
  • Die amerikanischen und deutschen Behörden informierten sich gegenseitig nicht.

Von Martin Bernstein

Er war ein Einzeltäter - aber nicht allein: David S., der am 22. Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun zumeist junge Menschen ermordete, die er für Migranten hielt, war Teil eines virtuellen rassistischen Netzwerks. Auf der Computerspiel-Plattform "Steam" chattete der 18 Jahre alte Münchner mit 255 jungen Leuten aus mehreren Ländern. In ihren Gesprächen ging es um Ballerspiele wie "Counter Strike", um Waffen - und um Massenmord.

Amokläufer und rechte Hassverbrecher wie der Norweger Anders Breivik wurden dort zu Helden stilisiert, Vernichtungsfantasien richteten sich gegen "Nicht-Arier", gegen Farbige, Migranten, Juden, Flüchtlinge. "Anti-Refugee Club" hieß die Gruppe seit den Kölner Ereignissen von Silvester 2015. Der Mitgründer der Gruppe, der damals 19-jährige US-Amerikaner William A., verfasste im Internet einen bewundernden Nachruf auf David S. Im Jahr darauf griff er dann selbst zur Waffe, einer Pistole der Marke Glock, und erschoss an einer Schule in New Mexico zwei Jugendliche.

Wie die jungen Leute tickten, war kein Geheimnis. Bereits im März 2016 standen Ermittler der amerikanischen Bundespolizei FBI bei William A. vor der Tür. Sie hatten gelesen, worüber A. in dem Spieleforum schrieb: Welche Waffen sich am besten für einen Massenmord eignen. Alles nur Spaß, sagte A. den Polizisten, er plane nichts dergleichen. Dass unter A.'s merkwürdigen Online-Freunden auch junge Deutsche waren, dass ihr Chat sich vor allem mit der Hetze gegen Flüchtlinge in Europa beschäftigte, erfuhren deutsche Behörden nicht. Warum auch? War ja nichts passiert. Dann passierte es doch. Mit einer Pistole vom Typ Glock 17, wie sie das Vorbild Breivik bei seinen Morden benutzt hatte, tötete David S. in München neun Menschen.

Die deutschen Ermittler stießen durch den Tipp eines Berliner Szene-Insiders rasch auf die Internet-Plattform Steam. Und auf zwei Jugendliche aus dem Raum Stuttgart, die Kontakt zu David S. gehabt hatten, womöglich nicht nur im Internet. Denn zwei Flixbus-Fahrten des Münchner Attentäters in den Raum Stuttgart sind nachgewiesen. Und sein Besuch in Winnenden bei Ludwigsburg, dem Schauplatz eines weiteren Massakers. Ein Foto soll es geben, das David S. dort zeigt - und es soll kein Selfie sein.

Gerlingen, wo S.' damals 15 Jahre alter Chatpartner aus dem "Anti-Refugee Club" lebte, ist nur etwa 30 Kilometer von Winnenden entfernt. Die Ermittler fanden jedoch keine Hinweise darauf, dass die beiden sich dort getroffen haben. Sie fanden bei dem Jugendlichen aber Munition, Messer, Chemikalien, Fluchtpläne aus einem Gymnasium, eine Schutzweste und Utensilien zur Maskierung. Der Jugendliche wurde festgenommen, ging dann freiwillig in die Psychiatrie. Er sei kein Mitwisser der Attentatspläne von David S. gewesen, sagte später ein Ermittler des bayerischen Landeskriminalamts.

Bei der Kriminalpolizei packte der Internet-Freund aus, laut dem Fernsehmagazin "Fakt" auch über William A. im fernen New Mexico, der die Deutschen erst zusammengebracht haben soll. Das wiederum erfuhren die amerikanischen Behörden nicht, denn dort war ja nichts passiert. Einen "kapitalen Fehler" nennt das der MDR-Journalist Christian Bergmann. In einem Beitrag für "Fakt", der in der ARD ausgestrahlt wurde, wird deutlich, wie die Behörden in der Zusammenarbeit versagt haben.

Hätten die US-Behörden den Tod zweier junger Menschen an der Aztec High School am 7. Dezember 2017 verhindern können, wenn sie William A. nach der Münchner Bluttat unter Beobachtung gehabt hätten? Wenn sie seinen Nachruf auf David S. gelesen hätten? Ein "guter Typ" sei David gewesen, schrieb A. drei Tage nach dem OEZ-Attentat, weil er ausschließlich Migranten getötet habe. Wenn die AfD und andere rechte Gruppen in Deutschland an die Macht kämen, werde man dem "Helden" ein Denkmal setzen, der ein "wahrer Arier" und "wahrer Deutscher" gewesen sei.

"Es ist eine virtuelle Ahnengalerie"

Für den Politikberater und Extremismusforscher Florian Hartleb stellen sich mit der neuen Spur "viele Fragen": Was hat die Taten gefördert, was hat sie ausgelöst? Hartleb ist einer der drei Wissenschaftler, die im Auftrag der Stadt München die Morde vom 22. Juli 2016 untersucht haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es sich bei dem vermeintlichen Amoklauf um ein rassistisch motiviertes Hassverbrechen gehandelt hat. Die jetzt sichtbare Vernetzung zweier Mörder und mehr als 250 weiterer, zumeist junger Männer im rechtsradikalen "Anti-Refugee Club" wirft auch für Hartleb "kein gutes Licht auf die ursprüngliche Bewertung" der Tat durch die bayerischen Behörden.

Die beiden Todesschützen waren Brüder im Geiste. Sie lernten sich im Netz durch ihre Begeisterung für Ballerspiele kennen. Dann kam die Bewunderung für Amokläufer, Massenmörder und Terroristen hinzu. Bald bestärkten sich die jungen Männer in ihrem Wahn von der Überlegenheit der weißen, der "arischen" Rasse. Bis hinein in einzelne Formulierungen gleichen sich ihre Online-Tiraden: "Überall sehe ich Entartung", schrieb A. auf Steam. "Dreckige N ... , die nichts tun, als die Gesellschaft zu ruinieren." Bei S. hieß es: "Die Ausländischen Untermenschen mit meist Türkisch-Balkanischen Wurzeln ... sind für die Destabilisierung ... verantwortlich." Dafür gab es Lob: "Erstmals nach 21 jahren sehe ich einen richtigen intelligenten spieler der weiß was hier in unserer verseuchten gesellschaft wirklich abgeht", schrieb ein User unter Davids Steam-Profil.

Eine rechtsradikale Gruppe wie der mittlerweile gelöschte "Anti-Refugee Club" ist kein Einzelfall auf Steam. Eine Suche auf der Plattform nach dem Begriff "Nazi" bringt knapp 18 000 Treffer, die nach "Amok" 1500. Auch, wer den Namen des Münchner OEZ-Attentäters sucht, wird fündig. So wie A. und S. im Internet Identitäten früherer Massenmörder annahmen, geschieht es aktuell wieder. Einer ihrer Verehrer tritt auf Steam mit mehreren Accounts auf; drei davon tragen dieselben Namen, wie sie auch der Münchner Todesschütze für seine Steam-Aktivitäten genutzt hatte. In seinem Profil steht: "Ich werde wegen meiner Aktionen sterben und Geschichte schreiben." Florian Hartleb sagt: "Es ist eine virtuelle Ahnengalerie."

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