Ode an das Telefonbuch:Sind wir nicht alle ein bisschen retro?

Frau telefoniert an einem Münzfernsprecher, 1941

Diese Frau wusste noch, wie man ein Telefonbuch benutzt. Und einen Münzfernsprecher. Das waren noch Zeiten.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Ach, gute alte Zeit, wo bist du hin? Als Twix noch Raider hieß und Pril-Blumen die Küchenkacheln zierten. Wenigstens das Telefonbuch hat überlebt. Doch was wirklich zählt, sind nicht die Nummern.

Von Martin Bernstein

Those were the days, my friend: Als Twix noch Raider hieß, als Pril-Blumen die Küchenkacheln hinterm Spülbecken zierten (und zwar dauerhaft, weil der Kleber im Gegensatz zur Farbe ziemlich haltbar war) und der Jugoslawe um die Ecke Grillfleischplatten mit brennenden Weißbrotdreiecken verzierte. Damals gab es jedes Jahr ein neues Meisterwerk der Prosaliteratur, das den Älteren unter dem Namen "Telefonbuch" geläufig ist.

Erzählt man jungen Menschen heute von dieser Zeit, finden die das reichlich bizarr: Ein Telefon, das bei Oma im Flur an die Wand geschraubt war und eine Wählscheibe hatte, ein Buch, in dem neben Namen und Nummern oft auch die dazugehörigen Berufe zu lesen waren, gelb gerahmte Glaskästen mit öffentlichen Münzfernsprechern und einer ganzen Batterie von, nun, eben: Telefonbüchern, die man nach oben klappen konnte und aus denen garantiert genau die entscheidenden Seiten herausgerissen waren.

Neben einem Foto von der Arena steht eine Nummer für Selbstanzeigen in Steuersachen

Man glaubt es kaum: Das Telefonbuch gibt es noch. Man kann die Münchner Version dieser Tage beim Lebensmittelmarkt abholen. Dort liegt das Werk palettenweise vor der Tür. Nur noch ein Band statt früher zwei. Aber total nützlich. Zum Beispiel als Einschlafhilfe, wie die Leiterin der Nürnberger Schlafambulanz aktuell versichert hat. Und ein Meisterwerk des subtilen Bild-Text-Bezugs - vor allem im vergangenen Jahr, als auf der Titelseite unter einem Foto der bayernrot erleuchteten Arena eine Kummer-Nummer für Selbstanzeigen in Steuersachen prangte. Und schließlich ist der Wälzer auch noch schneller als jede App. Der Telefonbuchverlag tvg will die Probe aufs Exempel gemacht haben: Student Rolf B. drückt noch auf seinem Smartphone herum, als Mitstudentin Claudia R. schon längst fündig geworden ist. Wo? Im Telefonbuch! Wie cool ist das denn!

Aber mal ehrlich: Holen wir uns deswegen das Telefonbuch bei Rewe ab? Als Einschlafhilfe oder Wegbegleiter durch den Steuerdschungel oder das Münchner Nachtleben? Was wirklich zählt, ist doch Retro-Charme. Daktari und Hitparade, Fix und Foxi, Fahrräder mit Bananenlenker und Autos mit Nicke-Hündchen auf der Ablage - ach, gute alte Zeit, wo bist du hin? Dass wenigstens das Telefonbuch überlebt hat, finden wir spitze.

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