Obersendling:"Vorzeigeprojekt mit Strahlkraft"

OB Dieter Reiter und Fachleute würdigen das ehemalige Kraftwerk an der Drygalski-Allee

Von Jürgen Wolfram, Obersendling

Die bisher unzugängliche oberste Plattform ist freigegeben, eine elfte Etage unlängst eingezogen worden. Als Schlusspunkt soll im nächsten Jahr noch die Errichtung einer 1000-Quadratmeter-Ausstellungshalle auf dem Pumpenhaus folgen. Damit wäre dann vollendet, was Fachkreisen, Kommunalpolitikern und weiten Teilen der Bevölkerung im Münchner Süden als vorbildlich gelungene Umwandlung eines Industriedenkmals gilt: Aus dem ehemaligen Kraftwerk an der Drygalski-Allee in Obersendling ist ein Firmensitz von rauem Charme und gestalterischer Raffinesse hervorgegangen.

Obersendling: Vom Ergebnis des Umbaus und der Umnutzung zeigte sich OB Dieter Reiter (oberes Foto, re.) regelrecht begeistert.

Vom Ergebnis des Umbaus und der Umnutzung zeigte sich OB Dieter Reiter (oberes Foto, re.) regelrecht begeistert.

(Foto: Stephan Rumpf)

Großer Ankermieter ist das Möbelunternehmen Kare Design mit seinem Flagship Store; doch auch die Werbeagentur Sassenbach, der Software-Entwickler Maiborn/Wolff und das Modelabel Scotch & Soda sind dort mit Büros vertreten. Sie genießen teilweise einen atemberaubenden Ausblick auf die Stadt. Bei einem Besuch des "Leuchtturmprojekts" zeigten sich jetzt auch Oberbürgermeister Dieter Reiter und andere SPD-Politiker beeindruckt von der postindustriellen Ingenieursbaukunst. Er habe noch nicht viele Projekte gesehen, die die Industriegeschichte seiner Stadt so gut dokumentierten, sagte Reiter nach eingehender Besichtigung. Nachahmung, wo immer sie sich anbietet, dringend empfohlen.

Obersendling: Eine Vergangenheit, an die Details wie die Schalttafel erinnern.

Eine Vergangenheit, an die Details wie die Schalttafel erinnern.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das alte Gaskraftwerk mit seinem Turmbau und den zwei Schornsteinen, seit seiner Errichtung 1961 eine Landmarke im Münchner Süden, war bis 1999 in Betrieb. 2010 erwarb es die Kerscher Immobilien Holding, Gräfelfing. Zwei Jahre später begann, was die Investorenfamilie Kerscher, die Architekten (Büro Stenger2 und Partner) sowie das Möbelhaus Kare die "Revitalisierung" nennen. Sie kamen einem Abriss zuvor, der damals für nicht wenige Kommunalpolitiker durchaus eine Alternative gewesen wäre. Später hatte der weithin sichtbare Erfolg dann viele Mütter und Väter. Unstrittig ist, dass der damalige Bezirksausschussvorsitzende Hans Bauer (SPD) sowie die ehemalige SPD-Fraktionssprecherin des Stadtviertelgremiums, Micky Wenngatz, der Stadtverwaltung und dem Stadtrat so lange hartnäckig zusetzten, bis diese der Rettung des Industriebauwerks den Vorzug gaben vor weiteren Wohnriegeln im Viertel. Architekt Markus Stenger erinnerte beim Ortstermin an die Dramen jener Zeit. "Es gab viel Gegenwind, auch in den Medien, aber wir hatten im Bezirksausschuss einen wichtigen Mittler", resümierte er. Eine andere hohe Hürde sei der Brandschutz gewesen.

Obersendling: Die Verwandlung: Fast zwei Jahre dauerte die Demontage der Gebäudetechnik im Inneren des alten Gaskraftwerks.

Die Verwandlung: Fast zwei Jahre dauerte die Demontage der Gebäudetechnik im Inneren des alten Gaskraftwerks.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Es ist besser, für alte Gebäude neue Nutzungen zu finden, als sie einfach abzureißen und etwas Neues zu bauen", lautet das Credo Manfred Kerschers, Geschäftsführer der gleichnamigen Investorenfirma. Man brauche allerdings Entschlossenheit, Geduld und Ideen. Das Vorhaben an der Drygalski-Allee mit seinen außergewöhnlichen Dimensionen - allein der Sockelbau ist 70 Meter lang - glich alsbald auch in technischer Hinsicht einem Kraftakt. Tonnenschwere Wärmetauscher, unzählige Leitungsrohre und andere Installationen mussten ausgebaut werden. Allein die Demontage der Gebäudetechnik habe fast zwei Jahre in Anspruch genommen, rief Kerscher in Erinnerung.

Mit kleinlicher Sichtweise in finanziellen Dingen kommt man in Anbetracht solcher Herausforderungen nicht weit, weiß der Oberbürgermeister: "Im vorliegenden Fall war Geschmack erkennbar wichtiger, als auf den letzten Cent zu schauen, den man pro Quadratmeter hätte herausholen können." Wie bedeutsam das ehemalige Kraftwerk als Orientierungspunkt in seiner Stadt ist, sei ihm spätestens bei der Fahrt nach Obersendling bewusst geworden, so Reiter. "Ich hab' meinem Fahrer nur gesagt: Heizkraftwerk. Und der wusste sofort, wo's hingeht." Für das strahlende Renommee des Bauwerks steht neben der künstlerisch anmutenden Außenfassade sein heutiges Innenleben. Elemente aus der Kraftwerkszeit, wie wuchtige Stahlträger, dazu runde Raumöffnungen, großzügige Ausstellungsräume für Möbel und Wohn-Accessoires, ausgeklügelte Lichtinstallationen, eine 2000 Quadratmeter große Aussichtsterrasse und ein Bistro ("Die Küche im Kraftwerk") arrondieren sich zu einem spektakulären Ambiente. 2015 errangen die Kare-Geschäftsführer Jürgen Reiter und Peter Schönhofen damit die Auszeichnung "Store of the year" des Handelsverbands Deutschland.

Einmal in Obersendling, versprach Oberbürgermeister Reiter, auch bei einem anderen Projekt im Stadtteil die Fantasie walten zu lassen: Aus dem ehemaligen Siemens-Sportpark, zu einem "vernünftigen Preis" von der Stadt erworben, soll ein großer Wurf, "etwas Gescheites" werden. Die Bevölkerung bat er deshalb um Geduld. Sportplätze für die Allgemeinheit würden vorrangig berücksichtigt; ein Schwimmbad gehört für Reiter aber nicht unbedingt zur künftigen Möblierung an dieser Stelle: "Da sind schon andere in Planung." Auf eine Umzäunung der Anlage würde er in Zukunft gern verzichten, merkte Reiter an. Am Ende sollen sich die Leute über "eine grüne Lunge mit Aufenthaltsqualität" freuen, Bürgerbeteiligung bei der Planung sei ausdrücklich erwünscht. Von dem neuen Sportpark soll ein Signal ausgehen: "Diese Stadt braucht Flächen für Menschen, nicht für Autos."

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