Süddeutsche Zeitung

Obersendling:Streit ums rechte Augenmaß

Stadt und Investor stellen die Pläne für das alte Siemens- und Betonwerk-Areal vor. Dort sollen auch 99 Meter hohe Häuser entstehen. Die Anwohner fürchten, dass sich der Charakter des ganzen Viertels ändert

Von Jürgen Wolfram, Obersendling

Das brachliegende Gelände des alten Siemens- und Betonwerk-Areals mit seinen leer stehenden Bürogebäuden und verwaisten Industrieanlagen gilt vielen Menschen im Münchner Südwesten als städtebauliche Zumutung. Jetzt soll das Fünf-Hektar-Gelände in ein modernes Quartier verwandelt und neu belebt werden, mit 200 Mietwohnungen, vielen Büros, einem bis zwei Hotels, einer Markthalle, zwei Kitas für bis zu 160 Kinder sowie Platz für Kultur, Freizeit und Grünflächen.

Wenn die zahlreichen Besucher eines Informationsabends trotzdem nicht in Jubel ausbrachen, so liegt das an einigen nicht unwesentlichen Details der vorläufigen Planung. Einzelne Hochhäuser sollen "profilüberragende" 99 Meter erreichen, und nicht wenigen Anwohnern ist schleierhaft, wie der zu erwartende Zusatzverkehr aufgefangen werden könnte.

Die U-Bahn sei jetzt schon knallvoll, der Autoverkehr bereits "angespannt", die Tram-Westtangente lasse auf sich warten, hieß es. Zweifel wurden laut am Bedarf zusätzlicher Hotels, an der geringen Zahl Wohnungen, am Wert der Bürgerbeteiligung sowieso. "Das ist Show, tatsächlich will die Stadt unseren Bezirk so vollmachen wie es nur irgend geht. Dabei war das hier mal Stadtrand", meinte ein Bürger. Claudia Küng (CSU) vom Bezirksausschuss Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln befürchtet gar, die Umsetzung "dieses unmodernen Entwurfs" werde den ganzen Charakter des Viertel verändern. Mehrfach gefordert wurde "ein Bauen mit mehr Augenmaß".

Eine Sprecherin des Planungsreferats widersprach der kritischen Bewertung: "Wir sind grundsätzlich froh, dass hier was passiert. Denn verfolgt werden viele Ziele der Rahmenplanung für Obersendling." Vereinzelt entdeckten auch Anwohner positive Aspekte für das Geviert Boschetsrieder, Machtlfinger, Geisenhausener und Helfenriederstraße. "Wir sollten froh sein, dass da jemand dieses Areal entwickeln will", meinte ein benachbarter Firmenchef. Bei der eigens für das Vorhaben gegründeten Projektentwicklungsgesellschaft Horus Sentilo, hinter der die Unternehmen Salvis Consulting und Athos Service stehen, spricht man von einer "Mischung aus Wohnen und nicht störendem Gewerbe", von einem "Stück Städtereparatur". Schon im Herbst soll mit dem Abriss der alten Gebäude, darunter fünf leer stehenden ehemaligen Siemens-Bürohäusern, begonnen werden.

Horus Sentilo hatte zunächst sieben international renommierte Städteplaner beauftragt, auf der Grundlage eines Stadtratsbeschlusses Studien zu erarbeiten; zwei davon sind noch im Rennen. Deren Konzepte sehen vielfältige Gebäudekonfigurationen und -höhen vor. Anstelle eines städtebaulichen Wettbewerbs hat der Stadtrat ein Workshop-Verfahren zur Entwicklung vorgegeben. Der Vorteil: Die Jury muss sich nicht für einen Entwurf entscheiden, sondern kann gute Ideen aus verschiedenen Vorlagen zusammenführen. Bereits Ende Juli soll die Planung auf Basis der "besten Komponenten" weiterentwickelt werden. "Wir schaffen ein urbanes, lebendiges Quartier", verspricht Horus-Sentilo-Geschäftsführer Torsten Bischoff. Attraktive Planungselemente seien etwa der Umbau des alten Bahngleises zu einem Grüngürtel mit Fuß- und Radwegen und die Öffnung des Areals zur Boschetsrieder Straße. Für den Anlieferverkehr und die Parkplätze sei an unterirdische Lösungen gedacht. Weniger versiegelte Flächen als bisher sollen die Aufenthaltsqualität erhöhen. Bischoff: "Die alte Brache wird aufblühen." Den Verkehrsproblemen will er mit "modernen Mobilitätskonzepten" begegnen. Ferner verspricht Horus Sentilo anspruchsvolle Architektur. Zu jedem Gebäude würden Designwettbewerbe mit lokalen, nationalen und internationalen Architekturbüros veranstaltet. Bis 2025/2026 solle das Viertel mit 150 000 Quadratmetern oberirdischer Geschossfläche "komplett stehen".

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Quelle:
SZ vom 12.07.2019
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