Obersendling:Schlag für die Secondhand-Branche

Dem Kommbar droht wegen einer Mieterhöhung die Schließung. Betroffen davon wären außer der Betreiberin Gertrud Hirsch auch viele Händler, die sich auf Gebrauchtmöbel spezialisiert haben

Von Stefan Mühleisen

Wie viele Gegenstände hier wohl stehen, liegen und hängen mögen? Gertrud Hirsch überlegt eine Weile, vermag es aber nicht zu sagen. "Zehntausend sind es mindestens", sagt sie und lässt den Blick schweifen über das Gewirr Tausender Dinge in dieser Halle an der Hofmannstraße 7 in Obersendling, dem Secondhand-Einrichtungshaus Kommbar: Stühle stapeln sich übereinander, ebenso alte Reisekoffer; Ottomanen gruppieren sich zu Sofa-Archipelen. Vitrinen, Tische, Schränke, in rustikaler oder filigraner Ausführung, bevölkert von zahllosen Objekten. "Ein paar Jahre hätte ich schon gerne noch weitergemacht", sagt Gertrud Hirsch.

Das wird sie nach Lage der Dinge wohl nicht. Der Eigentümer, die BVG Verwaltung GmbH & Co. KG, hat ihr zum 31. Oktober 2020 gekündigt, nachdem Hirsch eine Mieterhöhung nicht akzeptieren wollte. Es geht um ein besonderes Geschäft mit einer besonderen Eigentümerin: Die BVG ist die Immobiliengesellschaft der Münchner Traditionsmetzgerei Vinzenzmurr, einer Branchengröße. Firmeninhaberin Evi Brandl, zugleich BVG-Geschäftsführerin, stand 2019 gemäß einer Liste des Deutschen Wirtschaftsmagazins mit geschätzt 1,2 Milliarden Euro Vermögen auf Platz 186 der reichsten Deutschen.

Obersendling: Akteure eines Nischensegments: Möbelhändler wie Oliver Mitgutsch, hier mit Pächterin Gertrud Hirsch in der großen Verkaufshalle, berichten, dass ihnen mit dem Aus für das Kommbar eine wichtige Geschäftsgrundlage wegbricht. Denn das Geschäft ermöglicht es ihnen, Waren auf Kommission zu präsentieren.

Akteure eines Nischensegments: Möbelhändler wie Oliver Mitgutsch, hier mit Pächterin Gertrud Hirsch in der großen Verkaufshalle, berichten, dass ihnen mit dem Aus für das Kommbar eine wichtige Geschäftsgrundlage wegbricht. Denn das Geschäft ermöglicht es ihnen, Waren auf Kommission zu präsentieren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Kommbar wiederum steht offenbar ganz oben auf der Prioritätenliste von Akteuren einer Nischenbranche: dem Secondhand-Möbelmarkt für Einrichtungsgegenstände, die für den Flohmarkt zu hochwertig, fürs Antiquitätengeschäft aber nicht exklusiv genug sind. Die Händler verdienen mit Wohnungsauflösungen, zumeist nach Todesfällen, ihr Geld - und brauchen einen Zwischenhändler, der viel Platz hat, um auf Kommission die sperrigen Stücke zu präsentieren, zumal zu einem günstigen Mietpreis, denn die Marge sei niedrig, wie Gertrud Hirsch versichert. "Ich mache keinen großen Gewinn. Das Geschäft trägt sich gerade so, deshalb kann ich die Mieterhöhung nicht bezahlen."

Die beiden miteinander verbundenen Hallen, die eine 700, die andere 200 Quadratmeter groß, sind ein Relikt der ehemaligen Großdruckerei Opacher, die von 1905 bis 1988 im Karree zwischen Zielstatt- und Hofmannstraße ihr Werksgelände hatte. "Ich kenne keinen vergleichbaren Laden in dieser Größe in der Region", sagt Oliver Mitgutsch, Architekt und Antiquitätenhändler, Sohn des berühmten Wimmelbuch-Zeichners Ali Mitgutsch. Er sitzt neben Pächterin Hirsch auf einem Sofa in der Halle und beklagt, dass ihm selbst und vielen Händlern mit dem Aus fürs Kommbar eine wichtige Geschäftsgrundlage wegbreche.

Obersendling: Auch wirklich Ausgefallenes findet man hier zuhauf.

Auch wirklich Ausgefallenes findet man hier zuhauf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das trifft nach eigenen Angaben auf Thomas Bufler zu, Inhaber der Entrümpelungs- und Nachlassverwertungsfirma Freiraum in Unterhaching. "Wenn das Kommbar zumacht, hat sich mein Geschäft erledigt", sagt er am Telefon und erklärt das so: Antik-Läden kauften zumeist nur Einzelstücke an, präsentierten nur ihre eigenen Sachen, keine Kommissionsware. Die großen Player in der Münchner Entrümpelungsbranche, etwa BM Logistic an der Rosenheimer Straße, haben eigene Verkaufsflächen. "Die Folge wird sein, dass Entrümpelungen teurer werden", glaubt Christian Luppatsch, Inhaber eines Transportdienstes in Oberhaching und wie Bufler langjähriger Kommbar-Partnerhändler. Denn der Einzelverkauf über Ebay oder Flohmärkte sei viel zu aufwendig. So müsse er die Möbel künftig entsorgen, die Kosten auf die Kunden umlegen.

Dabei ist der Münchner Markt für Gebrauchtmöbel durchaus lukrativ, wie Thomas Ruppert bestätigt, Inhaber einer Entrümpelungsfirma mit Secondhand-Möbelladen in Göppingen (Baden-Württemberg). Er verfügt über 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche, bringt aber viele Stücke nicht los. Die moderaten Lebenshaltungskosten erlaubten es den Göppingern, neue Möbel zu kaufen, "in München können sich das viele nicht leisten", so seine Beobachtung. Gravierend treffen werde ihn das Verschwinden des Kommbar nicht, glaubt er. "Doch es ist ärgerlich, einen Händler, dem ich vertrauen kann, zu verlieren."

Obersendling: Zahllose Objekte: Im Kommbar gibt es Sachen, die für den Flohmarkt zu hochwertig und fürs Antiquitätengeschäft nicht exklusiv genug sind.

Zahllose Objekte: Im Kommbar gibt es Sachen, die für den Flohmarkt zu hochwertig und fürs Antiquitätengeschäft nicht exklusiv genug sind.

(Foto: Stephan Rumpf)

Hirsch hatte wiederum auf die BVG vertraut, dass diese weiter den günstigen Quadratmeterpreis von um die sechs Euro Kaltmiete für angemessen halten werde, schon weil die Halle marode und kaum beheizbar sei. "Das Glas-Oberlicht ist zwar schön, aber es regnet herein", sagt Hirsch. Knapp 7843 Euro zahlte sie bisher Bruttomiete pro Monat, künftig sollen es nach dem Willen der BVG etwas über 8535 Euro Nettokaltmiete sein, was sich nach Hirschs Rechnung mit den Betriebskosten auf 11 000 Euro summiere. Das Angebot der BVG für einen Nachtragsmietvertrag hat sie abgelehnt. "Angesichts der kurzen Frist, und das auch noch über die Weihnachtsfeiertage, war es mir leider nicht möglich, ein geändertes Konzept auszuarbeiten", schrieb sie der BVG. Gemeint ist, die Halle zum Teil unterzuvermieten, um die Mehrkosten aufzufangen. Indes, noch einmal nachgefasst und mit der BVG verhandelt hat sie nicht.

Und darüber zeigt sich die BVG auf Anfrage in einer knappen Erklärung überrascht. Das Unternehmen lässt erkennen, durchaus offen zu sein für ein Gespräch - und deutet zudem die Bereitschaft an, Hirsch weitere Bedenkzeit für eine Prüfung des Mietvertragsangebots einzuräumen. Ferner lässt die BVG durchblicken, speziell bei Hirsch und ihrem Kommbar-Geschäft entgegenkommend gewesen zu sein und bisher auf Mietsteigerungen verzichtet zu haben, wenngleich das Unternehmen die nun angekündigte Erhöhung verteidigt: Die Miete liege unter zehn Euro und damit unter der Marktmiete für vergleichbare Räume.

Gemäß dem aktuellen Immobilien-Marktbericht der Stadt München dürfte die Mietbewertung zwischen zwei Kategorien changieren, denn nach Größe und Ausstattung entspricht das Objekt keinem üblichen Typus: Für Einzelhandelsflächen in Stadtrand-/Fachmarktlagen unter 200 Quadratmeter sind zwischen 15 und 23 Euro pro Quadratmeter Monatsmiete üblich. Allerdings ist für die Preisberechnung die Qualität von Gebäudezustand, Heizung, Belichtung oder Bodenbelag relevant, weshalb die Hallen wohl, zumindest teilweise, als Lager- und Logistikfläche in Bestandsgebäuden zu werten sind - hierfür liegt das untere Ende des monatlichen Quadratmeterpreises derzeit bei 6,60 Euro.

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