Obermenzing:Zwischenstation zu einem Zuhause

In der Unterkunft für Wohnungslose am Dreilingsweg leben 200 Menschen aus 19 Ländern. Für sie eine Wohnung auf Dauer zu finden, wird auf dem angespannten Münchner Markt eine Herausforderung sein

Von Jutta Czeguhn, Obermenzing

Arabische Worte fliegen hin und her wie die Kugel zwischen den rotierenden Holzmännchen. "Ihr müsst Deutsch mit mir sprechen", fordert Selina Herrmann. Die Jungs um sie herum grinsen, dann sagt einer: "Selina kann nicht Kicker spielen." Die Erzieherin schnaubt mit gespielter Entrüstung auf, dreht mit Schmackes an den zwei Griffstangen und knallt den Ball ins Tor. Gejohle. "Check", Selina Herrmann hebt die Hand zum Abklatschen, ihre drei Mitspieler, Jugendliche aus dem Irak und Syrien, schlagen ein.

Seit der Kickertisch im Gemeinschaftsraum der Unterkunft für wohnungslose Menschen am Obermenzinger Dreilingsweg steht, ist er die Attraktion. Das Spielgerät, gespendet vom Bayerischen Fußball-Verband, ist ein Unikat, eigens angefertigt für das Champions-League-Finale "Dahoam" in München 2012. Doch diese Besonderheit ist erst einmal Nebensache für die Teenager, die begeistert Tischturniere austragen. Dahoam, daheim, das sind für sie nun vorübergehend die beiden lang gestreckten Holzbauten am Ortsrand von Obermenzing nahe der S-Bahnstation Langwied. 199 Menschen leben dort in den 30 Apartments, durchweg Familien, mit 88 Kindern und mehr als 20 Jugendlichen. Ihre Heimaten sind viele. So viele, dass Angelika Pfister-Resch, die Einrichtungsleiterin, auf einer Liste nachsehen muss: Die Menschen in der Unterkunft kommen aus Afghanistan, Angola, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Guatemala, Irak, Iran, Irland, Kroatien, Libyen, Mali, Nigeria, Portugal, Rumänien, Sri Lanka, Syrien, Togo, Tschechien. Am Dreilingsweg leben also nicht nur Menschen mit einem Flucht-Hintergrund, die eine Bleibeperspektive haben, sondern auch EU-Bürger, die sich auf dem angespannten Münchner Wohnungsmarkt schwer tun.

Angelika Pfister-Resch (Awo) Einrichtungsleiterin der Unterkunft für Wohnungslose am Obermenzinger Dreilingsweg.

Heimleiterin Angelika Pfister-Resch und ihr Team wollen den Familien wieder eine Perspektive geben.

(Foto: Catherina Hess)

Seit Mai dieses Jahres sind die beiden Neubauten in Holzbauweise vollständig belegt. Vom Start weg sei das so gewesen, erzählt Pfister-Resch. Sie ist Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) München-Land, die die Unterkunft in einer Trägergemeinschaft mit der AWO München-Stadt betreut. Ein neues Modell, denn der Stadtverband war in dem Bereich bislang nicht engagiert. In jedem der beiden Häuser arbeiten zwei Sozialpädagogen und zwei Erzieher, die sich jeweils ein Büro teilen, so dass die Sozialberatung Hand in Hand gehen kann mit den pädagogischen Angeboten unmittelbar in der Unterkunft. Sozialpädagogin Petra Zimmermann beispielsweise führt die Erstgespräche, klärt die Ursachen der Wohnungslosigkeit ab, unterstützt bei Anträgen, vermittelt Deutsch- und Integrationskurse. Ihr gegenüber sitzt Erzieherin Selina Herrmann, welche die Familien bei der Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in Kindergärten, Schulen und Horten unterstützt. Kein leichtes Unterfangen, denn gerade Kita-Plätze sind rar in der Stadt. Selina Herrmann in Haus B und ihre arabischsprechende Kollegin Hayam Halawa in Haus A organisieren für die Kinder auch die Lernzeiten, das Freizeitprogramm und "Mami-lernt-Deutsch-Kurse" für Mütter mit Babys. Unterstützt werden die AWO-Mitarbeiterinnen von einem großen Kreis Ehrenamtlicher, der Flüchtlingshilfe Menzing mit ihren 90 Aktiven (fluechtlingshilfemenzing@gmx.de).

Im Hof zwischen den beiden Gebäuden stehen viele Fahrräder, Kinder spielen Fußball, turnen an den Spielgeräten, skaten. Die Umgangssprache auf dem Hof ist ein Gemisch aus Arabisch und Deutsch. Die Kinder in der Unterkunft seien ungeheuer wissbegierig, lernen sehr rasch Deutsch, erzählt Selina Herrmann. Man sieht an diesem Spätnachmittag kaum Erwachsene. "Ich habe das Gefühl, dass die Leute hier ständig unterwegs sind, sie machen Behördengänge, Arztbesuche, einige arbeiten", erklärt Herrmann. "Diese Menschen haben ihr Leben in ihrem Herkunftsland gemeistert, sie waren Ärzte, Selbstständige, Handwerker", ergänzt Angelika Pfister-Resch. Aufgabe ihres Teams ist es, den Leuten wieder eine Perspektive zu geben. Ein halbes Jahr, so ist vorgesehen, sollen die Familien in der Unterkunft am Dreilingsweg bleiben. Einrichtungsleiterin Pfister-Resch weiß, dass es angesichts von etwa 8000 Wohnungslosen in der Stadt nicht leicht ist, für die Menschen in dieser kurzen Zeitspanne einen Ort zu finden, an dem sie wirklich daheim sein können.

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