Obermenzing:Talent allein reicht nicht

In der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss Blutenburg lesen Nachwuchsautorinnen aus ihren Texten. Diese sind das Ergebnis einer ganz besonderen Werkstatt-Reihe, in der es für die Jugendlichen auch darum geht, Kritik auszuhalten

Von Vin Kirsten Wolf, Obermenzing

Sätze können fliegen. Im Obergeschoss der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) breiten sie ihre Flügel aus und rauschen durch den Jella-Lepman-Saal, der nach der Gründerin der Bücherburg benannt ist. Die Sätze, manchmal nur Satzfetzen, werden losgeschickt von fünf Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren, die hier, in der Blutenburg, immer wieder experimentiert haben mit Worten, ihre Wirkung erprobt, ihrem Klang nachgespürt haben. Vor allem aber haben sie sie selbst in die Welt gesetzt.

Obermenzing: Nachwuchsautorinnen der Schreibwerkstatt in der Blutenburg.

Nachwuchsautorinnen der Schreibwerkstatt in der Blutenburg.

(Foto: Catherina Hess)

Amanda, Nora (Pseudonym), Fiona, Clara und Magdalena sind Teilnehmerinnen einer Schreibwerkstatt, die es so wohl noch nicht gegeben hat in Deutschland, das glaubt zumindest Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek. "Zwei Jahre lang werden junge Autorinnen und Autoren ab 15 Jahren bei uns gecoacht im Umgang mit ihren eigenen Texten. Jugendliche, die gern schreiben, haben oft nicht die Möglichkeit, sich auszutauschen und professionelles Feedback zu bekommen, um sich weiterzuentwickeln, zumindest nicht über einen so langen Zeitraum. Das wollen wir ihnen hier bieten." Zum dritten Mal hat sich eine Gruppe zusammengefunden, an diesem Freitag, 23. November, werden fünf der Teilnehmerinnen eigene Geschichten in einer Lesung einem breiteren Publikum präsentieren.

Obermenzing: Wichtig ist neben Talent vor allem auch das Handwerk.

Wichtig ist neben Talent vor allem auch das Handwerk.

(Foto: Catherina Hess)

Dafür also diese Generalprobe. Weit ausschreitend laufen die Jugendlichen durcheinander, es wird laut in dem Saal mit dem sieben Meter hohen Giebel. "Mr. Daisy!" ruft Amanda mit kräftiger Stimme, am anderen Ende flattert das Wort "Rotkehlchen" vorbei, eine "Bratpfanne für die Fee!" schwingt durchs Gebälk, "Das Mädchen aus Montezuma!" donnert es durch den Raum. "Ja, das passt so, das kommt gut rüber", freut sich Beate Schäfer, die die Gruppe leitet und begleitet. Sie sei ein Glücksfall, findet Direktorin Raabe, der Erfolg so eines Projektes stehe und falle mit der Werkstattleiterin. Schäfer sei für die Jugendlichen da, sie stütze auch die persönliche Entwicklung."

Obermenzing: Den Traum, den eigenen Namen einmal auf einem Buchdeckel zu lesen, hegen wohl auch die Teilnehmerinnen.

Den Traum, den eigenen Namen einmal auf einem Buchdeckel zu lesen, hegen wohl auch die Teilnehmerinnen.

(Foto: Catherina Hess)

Die 57-jährige Germanistin und Lektorin hat viele Jahre programmgestaltend in Kinder- und Jugendbuchverlagen gearbeitet. Sie ist außerdem Übersetzerin, seit 2009 auch Schreibpädagogin. In ihren Workshops stehen nicht Schreibrezepte, sondern der intensive Austausch im Mittelpunkt. Genau das ist es, was Silke Weniger, Münchner Literaturagentin für Kinder- und Jugendliteratur, so großartig findet an dieser Arbeit mit den jungen Schreibenden. "Die wenigsten trauen sich ja überhaupt, mal etwas einem Verlag oder einer Agentur anzubieten", sagt sie; bei ihr passiere das ein paar Mal im Jahr. Tatsächlich sei dabei auch mal ein Talent zu entdecken, "aber ohne handwerkliches Wissen wird eben auch aus einem talentierten Text kein gutes Buch". Professionelle Anleitung und das Zusammensein mit Gleichgesinnten mache Mut: "Die sind nicht mehr so allein mit ihren Selbstzweifeln, und beim gemeinsamen Brainstorming kommt man einfach auf mehr Ideen."

Literatur live

Die Lesebühne findet an diesem 23. November, 19 Uhr, im Jella-Lepman-Saal der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss Blutenburg, statt. Der Eintritt ist frei. Vor der Veranstaltung, in der Pause und hinterher gibt es Musik, von den Autorinnen ausgewählt. Die Werkstatt-Reihe ist für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahre mit ausgeprägtem Schreibinteresse. Sie treffen sich zwei Jahre lang einmal im Monat zu drei- bis vierstündigen Workshops mit professioneller Anleitung, die Teilnahme ist kostenlos. Infos zur Bewerbung mit kurzer Textprobe und Angaben zur Person unter www.ijb.de/junge-bibliothek/jugendliche.html. kiwo

Auf der Suche nach Nachwuchstalenten kämen tatsächlich öfter auch Verlagsvertreter oder Literaturagenten zu den Lesungen ihrer Gruppen, erzählt die Werkstatt-Leiterin, da könne schon mal was draus werden. Doch der Lektorin geht es nicht "isoliert" um das erfolgreiche literarische Schreiben: "Ich möchte das Zusammenspiel von Persönlichkeit und Talent fördern. Wir wollen nicht aussieben oder Hochleistungsschreiber produzieren, sondern ein Umfeld bieten, in dem sie wachsen können." Jungs gebe es schon auch in den Workshops, sagt die Schreibpädagogin, "aber es bewerben sich leider sehr viel weniger als Mädchen".

Hier und heute fehlt Luis, er wird auch bei der Lesung nicht körperlich anwesend sein, weil er ein Auslandsschuljahr in Chicago verbringt. Zu Wort kommen soll der 16-Jährige dennoch, mit einem Text, den er per Audio-Datei geschickt hat. Auch Lucie, 19, derzeit auf Work & Travel in Irland, wird mit einem Lesestück zugeschaltet. Die anderen fünf Jungautorinnen sind umso präsenter. Feedback gehört bei der gemeinsamen Arbeit an den Texten unbedingt dazu. Das Aushalten ist eine Sache, sagt Schreib-Coach Schäfer, "ich finde es fast schwieriger, konstruktiv Kritik zu üben". Auch das lernen die Jugendlichen hier. "Anfangs sagen sie so etwas wie, 'das ist ja ein toller Text.'" Später würden die Rückmeldungen differenzierter. "Dann fragen sie auch mal nach, 'wie hast Du das gemeint?'". So entstehe eine Hellhörigkeit für sprachliche Strukturen.

Fiona Rachel, 18, versucht zu erklären, was sich in den zwei Jahren Schreibwerkstatt an ihren Texten verändert hat: "Ich habe anfangs sicher metaphorischer geschrieben, heute formuliere ich minimalistischer." Wenn eine über ihr Schreiben spricht, wird es in der Gruppe ruhig, die Aufmerksamkeit ist spürbar. Nora, 18, sagt über die monatlichen Treffen, dass sie Selbstgeschriebenes besser einschätzen kann, "wenn ich merke, wie die anderen darauf reagieren". Sprache oder Literarisches als Beruf, das haben hier alle irgendwie im Sinn. Dass es "unfassbar schwer" ist, sich eine Existenz als Autorin aufzubauen, hat Lektorin Beate Schäfer ihnen längst vermittelt. Die Verlage wüssten ja selbst nicht genau, wie sich der Buchmarkt entwickelt; junge Leute aufzubauen, sei derzeit nicht Branchen-Fokus. "Deshalb bin ich so froh um den Schutzraum, den wir jungen Talenten mit der Schreibwerkstatt bieten können."

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