Obermenzing:Postkarten mit Grenzproblemen

Die Internationale Jugendbibliothek im Schloss Blutenburg startet mit einer neuen Ausstellung zu Flucht und Vertreibung. Die Organisatoren haben nicht nur mit Corona zu kämpfen, sondern auch mit dem Brexit

Von Lea Kramer, Obermenzing

Die europäische Flüchtlingskrise ist stark präsent, als Illustratoren aus aller Welt im Jahr 2017 selbst gestaltete Postkarten zum Thema Flucht und Vertreibung an die Internationale Gesellschaft für Bilderbücher der Universität Worcester in Großbritannien schicken. Vier Jahre später lassen noch immer Menschen alles in ihrer Heimat zurück und fliehen. Und auch die Karten der Künstler reisen weiterhin um die Welt. In einer neuen Ausstellung der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) auf Schloss Blutenburg werden sie nun erstmals in München gezeigt.

Unter dem Namen "Migrations. Postkarten von Künstlern aus aller Welt" haben die Mitarbeiter der Jugendbibliothek eine emotionale Reise durch den Wehrgang und Lesesaal der spätgotischen Burganlage konzipiert. Diese wird im besten Fall irgendwann analog erfahrbar sein, und ist seit dieser Woche schon virtuell auf der Webseite der Jugendbibliothek zugänglich. "Wegen Corona haben wir den Starttermin schon einmal verschoben", sagt Kuratorin Claudia Söffner, "das wollten wir nicht noch einmal." Ein Teil der Schau sei deshalb ins Internet überführt worden. Dort können Besucher eine Führung durch die Galerie abrufen. Ihre eigenen Gedanken zu Flucht und Vertreibung auf einer Pinnwand hinterlassen. Bei einer Schreibwerkstatt werden Kinder und Jugendliche im Kreativen Schreiben angelernt. Konzipiert ist die Werkstatt zunächst als Onlinekurs. Da die Ausstellung noch bis September andauern wird, hoffen die Mitarbeiter der Jugendbibliothek, im Sommer auch Präsenzworkshops mit Künstlern aus der Ausstellung anbieten zu können.

Darüber hinaus haben einige der in Obermenzing vertretenen Illustratoren - preisgekrönte Künstler wie Shaun Tan (The Arrival) oder Axel Scheffler (Der Grüffelo) - Videobotschaften zu ihren Werken verfasst. Der Vogel als Symbol für Hoffnung und Aufbruch steht im Zentrum fast aller Arbeiten. Bisher sind mehr als 350 Postkarten in verschiedenen Stilen entstanden. Sie erzählen von Aufbrüchen und der Zuversicht, jegliche Grenzen zu überwinden. "Migration ist ein sehr aktuelles Thema, und diese Wanderausstellung passt einfach gut zu uns", sagt Kuratorin Söffner.

Doch das Internationale, das ist auch eines der Kernprobleme, dem alle Beteiligten gegenüberstehen. Denn mit dem Beginn der Ausstellung fehlt etwas Entscheidendes: Die Original-Exponate haben es bislang nicht nach München geschafft. Ursprünglich war geplant, eine Auswahl der "echten" Postkarten aus Großbritannien auf Schloss Blutenburg prominent mit passenden Büchern aus der Sammlung der Jugendbibliothek in Szene zu setzen. Die restlichen Kunstwerke sollten ihnen als Reproduktionen zur Seite gestellt werden. Ein Vorhaben, das zuletzt an den politischen Umständen und eben den Grenzen scheiterte. Da das Vereinigte Königreich nach 47 Jahren der Europäischen Union die Mitgliedschaft aufgekündigt hat, liegen die Postkarten weiter im Magazin in Worcester. "Wir hatten bis zuletzt gehofft, dass wir einen Teil der 350 Originalkarten bekommen", sagt Kuratorin Söffner. Mit Home-Office, geschlossenen Archiven und dem Brexit sei das aber schwer zu organisieren gewesen. "Das größte Problem ist der Zoll", sagt Söffner. "Das begleitende Buch zur Ausstellung beispielsweise hätte schon vor einem Monat in München sein sollen", fügt Julia Jerosch, Pressesprecherin der Jugendbibliothek, hinzu. Die beauftragte Buchhändlerin bekomme gerade besser Material aus Mexiko als aus Großbritannien, sagt sie.

Über die geänderten Einfuhrbestimmungen und deutlich längere Zeiten beim Warenverkehr mit der Insel hatten zuletzt vor allem Lieferkettenmanager geklagt. Doch auch für deutsche Sammlungsleiter, die in der Vergangenheit häufig auf Leihgaben aus Großbritannien zurückgegriffen haben, hat Großbritanniens Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt Konsequenzen. Aus Angst wertvolle Gegenstände in Abfertigungshallen zu beschädigen oder gar zu verliehen, seien britische Kultureinrichtungen zurückhaltender, wenn es um den Verleih ihrer Kunstwerke ins Ausland gehe, schrieb die Museums Association (MA), Dachorganisation der britischen Museen und Galerien, in einer Mitteilung zu Beginn des Jahres.

Die Internationale Jugendbibliothek hat deshalb auf die Originale verzichtet - "auch wenn wir schon überlegt hatten, die Karten selbst in Worcester abzuholen und mit dem Koffer nach München zu bringen", sagt Claudia Söffner. Wie ein Vogelschwarm auf der Durchreise hängen in Obermenzing also Drucke von der Decke. Wie etwa die weiße Schwalbe mit breit gespannten Flügeln vor indigofarbenem Himmel. Die indonesische Illustratorin Mira Widhayati hat den leuchtenden Vogel gemalt. In einem Schwarm fliegt er durch den Nachthimmel. "Sogar in der dunkelsten Nacht gibt es Sterne. Und bald wird die Sonne mit ihrem Licht aufgehen", schrieb sie auf ihre Sendung. Aus München sind ebenfalls Karten eingetroffen, wie die von Daniele Diella. Er schreibt zu seiner Gruppe von im Wasser stochernden Störchen kurz: "unsere Geschichte". So verschieden die Zeichnungen aus aller Welt sind, desto mehr eint sie die gemeinsame Botschaft: Das menschliche Streben nach Glück lässt sich weder von Grenzen noch durch Verbote unterdrücken. Und schon gar nicht vom Brexit.

Die Ausstellung in der Wehrgang-Galerie und dem Lesesaal läuft noch bis zum 26. September. Sie ist unter www.ijb.de abrufbar

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