Obermenzing:Kahlschlag und Luftbrücken

Lesezeit: 2 min

Alarmstimmung bei der Bürgerversammlung Obermenzing: Krasse Fälle von illegalen Grundstücksrodungen und die Zunahme des Verkehrs beschäftigen die Menschen

Von Jutta Czeguhn, Obermenzing

Seile aus Hanf sollen künftig eine Art Luftbrücke für die Eichhörnchen bilden. Derzeit besteht für die Baumbewohner akute Lebensgefahr, wenn sie versuchen, etwa die viel befahrene August-Exter-Straße zu kreuzen. Allein heuer seien schon viele Tiere überfahren worden, klagte ein Anwohner. Sein Antrag, hoch über der Straße in den Linden Querhilfen zu spannen, fand in der Bürgerversammlung für Obermenzing am Dienstag Zustimmung auf ganzer Linie. Es war der erste von über 20 Anträgen an diesem Abend. Und Zufall oder nicht, er brachte die aktuelle Problemlage im Stadtbezirk 21 auf den Punkt: Extreme Bautätigkeit verdrängt in rasantem Tempo das Grün in den Gartenstadtgebieten und bringt immer mehr Verkehr in die Wohnstraßen.

Natur auf dem Rückzug: An der Paul-Gerhardt-Allee entsteht ein neues Quartier. (Foto: privat)

In den vergangenen Jahren waren es bei den Bürgerversammlungen im Stadtbezirk zumeist die direkten Anwohner der größeren Tangenten wie der Verdistraße, der Offenbach-/Meyerbeestraße oder der Alten Allee, die das Wort ergriffen und von der Stadtverwaltung Maßnahmen gegen die zunehmende Verkehrs- und Lärmbelastungen forderten. Auch sie traten diesmal wieder auf. Es gab Anträge zur Einführung von Tempo 60 im Bereich zwischen Auf- und Abfahrt A 8 bis zur A 99, zu Tempo 40 auf der Verdistraße. Gefordert wurden zudem Dialog-Displays dort, die rasende Autofahrer zur Vernunft bringen sollen. Kernthema des Abends aber war, was Hans-Georg Stocker als "Gentrifizierung Obermenzings" bezeichnete. "Irgendwann wird es in Schwabing grüner sein als in Obermenzing, die haben da noch Alleen, und wir haben überall zugekastelte Pseudogrundstücke", wetterte der Backstage-Betreiber, "gebürtiger Obermenzinger in der x-ten Generation". Mehr Baurecht, das bedeute mehr Autos, mehr Tiefgaragen. Der Wert der Grundstücke sei so rapide gestiegen, dass den Erben oft nichts weiter übrig bleibe, als zu verkaufen, da sie es sich nicht leisten könnten, ihre Geschwister auszuzahlen. Das bayerische Baurecht müsse geändert werden.

Grundstücke, etwa an der Frihindorfstraße, werden ohne Genehmigung gerodet. (Foto: privat)

Was geschieht, wenn so ein großes, für den Stadtteil typisches und ortsprägendes Gartengrundstück verkauft sei, schilderten gleich mehrere Teilnehmer der Bürgerversammlung. Angelika Schervier, Architektin und engagiert im Grünflächenverein Obermenzing, lieferte der Versammlung via Beamer etliche drastische Beispiele für maximal überbaute Grundstücke, kahle Vorgärten. "Die Abstandsflächen zu den Nachbarn sind so minimal, dass Bäume nicht mehr gepflanzt werden", sagte sie. Obermenzing habe sich "von der Gartenstadt zur Bauträgerstadt" entwickelt. Als Gegenmaßnahme fordert sie von der Stadt, für ganz Obermenzing beziehungsweise für die einzelnen Viertel, Bebauungspläne aufzustellen. "Das ist die einzige Chance, die Obermenzing hat."

Überall verschwinden große Bäume. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Mehrere Redner gingen auf die Totalrodung eines Grundstücks an der Frihindorfstraße ein, die Schlagzeilen gemacht hat. Nachbarn wie Markus Konert forderten eine drastische Erhöhung des Bußgelds von 50 000 auf wenigstens 500 000 Euro bei Verstößen, da die Bauträger, sofern sie überhaupt belangt würden, die aktuellen Strafen aus der Portokasse bezahlen würden. Siegfried Eppeneder machte darauf aufmerksam, dass die Untere Naturschutzbehörde hoffnungslos unterbesetzt sei, eine einzige Verwaltungsangestellte sei für den Baumschutz im Stadtbezirks zuständig. Der Baumschutz habe so in Obermenzing und Pasing "gar keine reelle Chance". Deshalb müsse das Personal aufgestockt werden. "Wir brauchen nicht nur Wohnräume, wir brauchen auch Lebensräume", appellierte Andreas Ellmaier, Vorsitzender des Obermenzinger Grünflächenvereins, und beantragte eine städtebauliche Erhaltungssatzung für die Gebiete beidseits der Verdistraße. "Was in vielen deutschen Städten gängige Praxis ist, kann auch für uns hier in München nicht von Vornherein falsch sein." Applaus der Versammlung für Ellmaier, für die anderen Antragsteller und für Hans-Georg Stockers einfache Gleichung: "Wenn der Baum weg ist, dann ist auch die Baugenehmigung weg."

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: