Obermenzing:Die dünne Schicht der Zivilisation

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Susanna Bummel-Vohland und Uwe Kullnick lesen am Aschermittwoch in Obermenzing. (Foto: Robert Haas)

Schriftsteller lesen am "Leeren Stuhl"

Von Jutta Czeguhn, Obermenzing

"Das wichtigste aller Menschenrechte ist das Recht, Rechte zu haben", sagt Susanna Bummel-Vohland. Die Lyrikerin hat sich intensiv mit dieser viel zitierten These Hannah Arendts auseinandergesetzt. Derzeit promoviert die Sechzigjährige an der Universität Salzburg in Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Arendts Überlegungen, die sie 1933 im Exil erstmals in ihrem Essay "We Refugees" formulierte, werden auch in dem Text eine Rolle spielen, den Bummel-Vohland am kommenden Mittwoch, 1. März, in Obermenzing vorstellt. Sie und der Schriftsteller Uwe Kullnick gestalten die zweite Autorenlesung am Mahnmal "Gebeugter, leerer Stuhl", das seit vergangenem November an der Südwestseite der Pfarrkirche "Leiden Christi" steht und an die von den Nazis verfolgten, vertriebenen und ermordeten Obermenzinger Juden erinnert. Insgesamt vier Lesungen hat der "Verein der Freunde Schloss Blutenburgs" zum Jubiläum "1200 Jahre Menzing" in diesem Jahr dort geplant.

Das politische Denken und der Lebensweg Hannah Arendts faszinieren die Münchner Essayistin, die in Buenos Aires geboren wurde. Dorthin waren ihre Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert, weil sie als Flüchtlinge aus dem Sudetenland angewidert waren von Altnazis in einem steirischen Dorf. Nach dem Militärputsch gegen Perón zog es ihren Vater, einen Journalisten, in ihrem Geburtsjahr 1957 nach Deutschland. Susanna Bummel-Vohland hat Jura studiert und acht Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet, dann hat sie ihre Kinder bekommen, und die Literatur trat in den Vordergrund. "Ich bin aus tiefster Seele Lyrikerin", sagt sie. "Ich werde solange schreiben, bis ich etwas gefunden habe, das ich gerne bei jemand anderem lesen möchte."

Noch hat Susanna Bummel-Vohland nicht mit dem Schreiben aufgehört. Die Romane, Erzählungen und Hörspiele von Uwe Kullnick, Jahrgang 1953, schätzt sie allerdings sehr. "Sie sind krass, doch immer schimmert das große Humane durch", sagt sie über die Texte ihres Kollegen, mit dem sie den Freien Deutschen Autorenverband (FDA) führt und das Literatur Radio Bayern organisiert. Kullnick ist Biologe und Zoologe, als Siemens-Manager war er in mehr als 60 Ländern unterwegs, wurde als "Trouble Shooter" losgeschickt, wenn es irgendwo auf der Welt aus Konzernsicht kriselte, wenn Mitarbeiter aus Bürgerkriegsgebieten herauszubringen waren. "Da lernt man eine Menge über Menschen, vor allem, wie dünn die Zivilisationsschicht über der Biologie liegt."

Mit 58 Jahren hat ihn Siemens in den Ruhestand geschickt. "Anfangs hatte ich die Idee, ich werde meine Zeit nun mit Golfspielen und Schreiben verbringen, doch dann kam der Manager wieder durch." Ihr Engagement im Autorenverband auf Bayern- und Bundesebene bedeutet Uwe Kullnick und Susanna Bummel-Vohland sehr viel. In München hat der FDA 54 Mitglieder, den Verband und das Literatur Radio Bayern (www.literatur-radio-bayern.de) wollen die beiden voranbringen, vor allem bei den jungen Autorinnen und Autoren bekannter machen, von denen es in München eine rege Szene gibt.

Kullnick selbst hat als 25-Jähriger mit der Literatur begonnen. "Meist habe ich geschrieben, wenn es mir emotional schlecht ging", erzählt er. Wie Bummel-Vohland beschäftigt er sich in seinen Texten mit der Frage der Schuld und Verstrickung in die Verbrechen des NS-Staates. Bei der Lesung am Mittwoch wird er einen Text vorstellen, der auf einem Hörspiel beruht. Er erzählt von zwei KZ-Häftlingen, die als Opfer zu Tätern werden. Auch seine Kurzgeschichte "Die Zeichnung", die womöglich als zu drastisch empfunden werden könnte, behandelt diese Frage. Ein alter Mann begeht dort, um seine alte Schuld abzuwaschen, einen schwerwiegenden Diebstahl.

Die Lesung am Aschermittwoch, 1. März, beginnt um 17 Uhr, bei der Skulptur "Gebeugter, leerer Stuhl", Südwestseite der Pfarrkirche Leiden Christi, Passionistenstraße/Grandlstraße. Die Besucher werden gebeten, eigene Stühle mitzubringen. Bei schlechtem Wetter weicht man ins Innere der Kirche aus.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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