Süddeutsche Zeitung

Oberlandesgericht:Mann verklagt Arzt, weil der seinen Vater zu spät habe sterben lassen

  • Heinz S. verklagt einen Arzt, weil dieser seinen Vater zu lang am Leben gehalten haben soll.
  • Der demente Mann wurde über Jahre künstlich ernährt. Aus der Sicht des Sohnes zu lang.
  • Verantwortlich für den Mann war ein gesetzlich bestellter Betreuer.

Von Stephan Handel

Einmal, da wollten sie den alten Mann waschen, pflegen, umdrehen, aber er war so verkrampft. Da sagte die Frau zu ihm: "Jetzt machen Sie doch mal mit, Sie wollten doch immer alt werden." Da entspannte sich der Körper, und sie konnten ihre Arbeit tun.

Was sich anhört wie eine Seniorengeschichte aus der Kitsch-Ecke, könnte eine wichtige Information sein in einem Gerichtsverfahren, das seit Donnerstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) läuft. Es klagt ein Sohn gegen den behandelnden Arzt seines Vaters - aber nicht, wie so oft, weil der zu wenig getan hat. Sondern, so die Meinung des Sohnes, weil der Arzt nicht rechtzeitig das Ende der künstlichen Ernährung angeordnet und somit das Leid des Vaters unnötig verlängert hatte. Deshalb verklagt er den Mediziner auf 100 000 Euro Schmerzensgeld.

Der Hausarzt hatte die Betreuung des dementen Mannes, der in einem Pflegeheim lebte, 2007 übernommen. Da wurde er schon etwa ein Jahr über eine Magensonde künstlich ernährt. Seit 1997 stand er unter Betreuung, dieses Amt war einem Münchner Rechtsanwalt übertragen worden. Heinz S., der Sohn, argumentiert nun, spätestens 2010 sei klar gewesen, dass sich der Zustand seines Vaters nicht mehr verbessern würde. Damit sei von diesem Zeitpunkt an die künstliche Ernährung medizinisch nicht mehr indiziert gewesen. Der Arzt, der sie dennoch aufrecht erhielt, habe seinem Vater dadurch Leid zugefügt.

Vor dem Landgericht war Heinz S. Anfang des Jahres gescheitert. In der Berufung vor dem Arzthaftungs-Senat des OLG zeigte sich schnell, wie kompliziert die juristische Konstruktion des Falles werden könnte: Zum einen ist da der Sohn, der aber eigentlich überhaupt nichts mitzubestimmen hatte über das Schicksal seines Vaters. Das oblag nämlich - zum anderen - dem amtlich bestellten Betreuer. Der wiederum war erster Ansprechpartner für den behandelnden Arzt.

Die Diskussion in der Verhandlung drehte sich bald teilweise im Kreis: Der Sohn argumentierte über seinen Rechtsanwalt, der Arzt hätte, als er die Verschlechterung im Zustand des Patienten bemerkt hatte, mit dem Betreuer besprechen müssen, was zu tun sei, und der hätte sich dann an ihn als den einzigen Angehörigen wenden müssen.

Der Arzt wiederum sagte, der Zustand des Patienten sei wie "eine gerade Linie, die nach unten zeigt" gewesen - er könne keinen Zeitpunkt bestimmen, zu dem er es für gerechtfertigt gehalten hätte, die künstliche Ernährung zu beenden und den Patienten somit verhungern zu lassen. Wenn einer der Beteiligten - Sohn oder Betreuer - mit diesem Anliegen zu ihm gekommen wäre, dann hätte er sich juristisch beraten lassen, was zu tun sei.

Bislang war davon ausgegangen worden, dass es keine Äußerung des Patienten darüber gebe, wie denn verfahren werden solle, wenn er so schwer erkrankt sein sollte, dass er nicht mehr selbst über sein Schicksal bestimmen könne. Das hat sich durch die Aussage des Betreuers und seine Geschichte vom Krankenbett geändert - vielleicht ist das ja doch eine eindeutige Äußerung eines Patientenwunsches, an die sich Ärzte und Betreuer dann unbedingt hätten halten müssen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3639606
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.08.2017/axi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.