Noch immer läuft die internationale Fahndung nach dem mutmaßlichen Stalking-Mörder Roland Burzik. Eine heiße Spur hat die Polizei bislang nicht, trotz des Einsatzes von Zielfahndern, trotz einer Flugblattaktion auf Berghütten im bayerisch-österreichischen Alpenraum und trotz eines Aufrufs in der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY". Der Architekt, der am Nachmittag des 16. August seine ehemalige Freundin nach jahrelangem Stalking-Terror erstochen haben soll, ist wie vom Erdboden verschluckt.
Ein Suizid des Tatverdächtigen wird mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen. Es könnte allerdings auch sein, dass Burzik seine Tat und seine Flucht längerfristig geplant hat. Zwei Tage nach der Tat hätte der 45-Jährige sich wegen Nachstellung und Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz vor Gericht verantworten müssen. Am 19. Juli beantragte Burzik jedoch beim Amtsgericht eine Verschiebung des Verhandlungstermins. Er werde sich am 18. August nicht in München aufhalten, wusste der Angeklagte vier Wochen vor der Mordtat in Giesing.
Polizei:Wie Zielfahnder Flüchtige jagen
Wenn ein Tatverdächtiger verschwindet, durchleuchten die Ermittler das Leben des Gesuchten bis ins kleinste Detail. Und finden ihn in den meisten Fällen.
Das geht aus einer Antwort des bayerischen Justizministers Winfried Bausback auf eine Anfrage des Münchner Landtagsabgeordneten Florian von Brunn (SPD) hervor. Er hatte wissen wollen, ob Polizei und Justiz alles getan haben, um das spätere Opfer zu schützen. "Die Polizei hat aus meiner Sicht formal korrekt gehandelt und viel gemacht", sagt von Brunn. "Aber beide, Polizei und vor allem die Staatsanwaltschaft, müssen sich angesichts der Vielzahl der Vorkommnisse und Verstöße des mutmaßlichen Täters fragen lassen, ob sie wirklich alle Register gezogen haben."
Ebenso wie die Garmischer Stalking-Expertin Christine Doering - sie leitet eine Selbsthilfegruppe und berät Opfer - kritisiert von Brunn, dass die Staatsanwaltschaft München I keinen Schwerpunktsachbearbeiter für Nachstellungsfälle hat. "Die Verfahren wegen Nachstellung gemäß Paragraf 238 Strafgesetzbuch werden von den Sachbearbeitern der Allgemeinen Abteilungen bearbeitet", bestätigt Staatsanwältin Judith Henkel, stellvertretende Pressesprecherin der Behörde.
In den sieben Monaten vor dem Mord nahm Burziks Wahn immer schlimmere Formen an. Vierzehn Fälle allein seit Oktober 2015 hatte das spätere Opfer in sein Stalking-Tagebuch eingetragen. Steine seien an ihr Fenster geworfen worden, gab die verzweifelte Frau zu Protokoll, als sie am 28. Juli, drei Wochen vor der Tat, zum wiederholten Mal Strafanzeige gegen ihren Ex-Partner erstattete. Es war die fünfte Anzeige binnen drei Jahren. An ihrem Fahrrad sei manipuliert worden, sagte die 45-Jährige, das Haustürschloss sei mehrmals blockiert worden, immer wieder sei bei ihr geklingelt worden. Ein seit August 2015 bestehendes Kontaktverbot hatte Burzik permanent missachtet. Die Sperre lief am 27. Februar 2016 aus. Der Terror ging weiter. Am 10. April erstattete die Frau Anzeige, weil ihr Fahrradschloss zugeklebt worden war. Ihr als Zeuge angehörter Ex-Freund Burzik ließ schriftlich wissen, er könne keine sachdienlichen Hinweise machen. Schon am 2. Mai stellte die Staatsanwaltschaft daraufhin das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wieder ein.
Kritik an der langen Bearbeitungszeit des Falles
In einem weiteren Fall lagen dagegen genügend Verdachtsmomente gegen Burzik vor, um ihm den Prozess zu machen. Am 14. September und noch einmal am 5. Oktober 2015 hatte die verfolgte Frau Anzeige gegen ihren Peiniger erstattet. Die Polizei reagierte schnell, bereits am 14. Oktober legte sie ihre Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft vor. Nachdem Burziks Rechtsanwalt am 15. Januar abschließend Stellung genommen hatte, geschah dann aber vier Monate lang nichts mehr. Erst am 31. Mai erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Burzik - es wäre der Prozesstermin am 18. August gewesen. Ein früherer Verfahrensabschluss, schreibt der Justizminister, sei nicht möglich gewesen wegen "einer personellen Neubesetzung des Referats". Außerdem habe man "noch eiligere" oder eiliger erscheinende Verfahren priorisiert.
Gesetzesentwurf:Besserer Schutz für Stalking-Opfer
Weil die Täter nur in den seltensten Fällen verurteilt werden können, will Bundesjustizminister Maas das Gesetz gegen Nachstellungen deutlich verschärfen.
Von Brunn und sein SPD-Landtagskollege Horst Arnold, früher selbst Staatsanwalt und Amtsrichter, sehen die lange Bearbeitungszeit durch die Staatsanwaltschaft sehr kritisch. "Die Staatsanwaltschaft hat durch interne Probleme die Bearbeitung des Falles über vier Monate verschleppt und verzögert", sagt von Brunn. Es gebe schließlich auch Vertretungsregelungen. Das sei man dem Opfer schuldig: "Eine gewisse Einarbeitungszeit ja, aber nicht über vier Monate Stillstand."
Nicht alle Fragen sind geklärt
Justiz und Polizei machen geltend, es habe zu keinem Zeitpunkt Hinweise darauf gegeben, dass der Beschuldigte gewaltbereit sein könne. Das Opfer habe selbst erklärt, sie denke nicht, dass Burzik ihr körperlich etwas antun werde. Allerdings sprach die 45-Jährige bei der Polizei auch von großer "Verfolgungsangst" und davon, dass sie nicht wisse, was ihr Exfreund noch vorhabe. In den drei Jahren vor der Bluttat hat die Polizei vier "Gefährderansprachen" bei Burzik durchgeführt, zuletzt am 7. Oktober 2015. Das Amtsgericht erließ zwei Kontaktverbote. Die verfolgte Frau stand regelmäßig in Kontakt mit einem erfahrenen Stalking-Berater der Münchner Kriminalpolizei. Zweimal wurde Burzik wegen Nachstellungen zur Kasse gebeten.
Und doch bleiben Fragen: "Es gibt zum Beispiel durchaus auch die Möglichkeit einer Festsetzung durch die Polizei für 24 Stunden, um zu prüfen, ob Haftvoraussetzungen vorliegen", so von Brunn. "Das kann möglicherweise präventive Wirkung haben. Warum nicht hier?" Christine Doering fragt: "Wurde überhaupt eine richtige Gefährdungsanalyse durchgeführt oder wurde eine Gefährdung per Bauchgefühl ausgeschlossen? Warnzeichen waren durchaus vorhanden. Wer hat die durchgeführt und nach welchem System?" Und: "Wurde die psychiatrische Vorgeschichte des Täters in die Gefährdungsanalyse miteinbezogen?" Stalker Burzik hatte sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben. Das hat die Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen nach der Tat herausgefunden. Sonst hätten die Gefährdungsanalysen und Schutzmaßnahmen möglicherweise anders ausgesehen.