Obergiesing:Gemälde sucht Wand

Weil die Wohnungsgesellschaft Gewofag beim neuen Fassadenbild für das Haus an der Silberhornstraße 6 in die künstlerische Freiheit eingreifen und das Motiv verändern wollte, entsteht "Ois Giasing 3000" jetzt anderswo

Von Hubert Grundner, Obergiesing

Wer früher von der U-Bahnstation Silberhornstraße kam und stadteinwärts lief, konnte sicher sein: Gleich trifft er Karl Valentin, das Münchner Kindl und die drei Nonnen vom Orden der Armen Schulschwestern, sieht die Alpen in der Ferne und, etwas näher, das Grünwalder Stadion, die Justizvollzugsanstalt Stadelheim und noch einiges mehr. Diese sehr spezielle Zusammenkunft von mal mehr, mal weniger berühmten Persönlichkeiten und Orten fand auf dem Wandgemälde des Anwesens Silberhornstraße 6 statt.

Die Idee, die Brandmauer des Hauses zu bemalen, stammte dem Vernehmen nach von einer aus Kolumbien stammenden Mitarbeiterin der Ambulanten Erziehungshilfe (AEH), die damals dort untergebracht war. Um einen Entwurf zu erarbeiten, wurden mit den Besucherinnen und Besuchern der AEH und den Bewohnern des Hauses Silberhornstraße 6 Ideen gesammelt, was auf dem Gemälde abgebildet werden sollte. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sammelten Orte, Symbole, Zitate, Anspielungen und Personen und erarbeiteten einzelne Entwürfe, wie man diese darstellen könnte. Gemeinsam wurde daraus ein zusammenhängendes Konzept entwickelt. Für fast einen Monat stand von Mitte August 2005 an ein Gerüst, von dem aus die einzelnen Bilder mit Pinseln auf die Wand gemalt wurden. Am 22. September 2005 wurde das Wandbild dann vom damaligen Oberbürgermeister Christian Ude feierlich der Öffentlichkeit präsentiert.

Doch nicht nur Ude hat sich längst aus dem Rathaus verabschiedet. Auch Karl Valentin und die anderen Gestalten des Wandgemäldes sind inzwischen verschwunden. Die Farben an der Südfassade sind durch die Witterung seit einiger Zeit so ausgebleicht, dass das Bild kaum mehr zu erkennen ist. Eine originalgetreue Restaurierung wäre zu aufwendig und entspräche aus ihrer Sicht, so die heutigen Initiatoren vom Kulturverein Real München, auch nicht der Idee dieses Bildes. Daher wollen sie den Fußstapfen des Vereins für Sozialarbeit folgen und wieder gemeinsam ein "Ois Giasing"-Wandgemälde erschaffen.

Obergiesing: Hauseigentümerin Gewofag und Real München konnten sich nicht auf einen Entwurf für das Wandgemälde einigen.

Hauseigentümerin Gewofag und Real München konnten sich nicht auf einen Entwurf für das Wandgemälde einigen.

(Foto: Frank Cmuchal)

Beim Bezirksausschuss (BA) stießen Tuncay Acar und seine Mitstreiter von Real München von Beginn an auf viel Sympathie und die Bereitschaft, zum Wandgemälde 15 000 Euro aus dem Budget beizusteuern. Nachdem der Verein für Sozialarbeit als Urheber und die Gewofag als Eigentümerin des Gebäudes dem Plan zugestimmt hatten, schien einer Realisierung, die sich wegen der Corona-Pandemie verzögert hatte, nichts mehr im Weg zu stehen. Inzwischen aber hat sich die Kooperation zwischen städtischer Wohnungsgesellschaft und Kulturverein zerschlagen. Die Gewofag stellt die Brandschutzmauer an der Silberhornstraße für das XXL-Bild, für das Künstler Frank Cmuchal einen Entwurf geliefert hat, nicht mehr zur Verfügung.

Befragt nach den Gründen, die zum Bruch führten, sagt Gewofag-Sprecher Frank De Gasperi: "Wenn wir es genau nehmen, haben nicht wir von der Realisierung abgesehen. Vielmehr haben sich Kulturverein und Künstler entschieden, nach einem anderen Gebäude zu suchen." Das sei einerseits schade, da die Gewofag immer klar zu verstehen gegeben habe, dass sie das Projekt befürworte. Andererseits sei das Vorgehen der Beteiligten nur schwer nachvollziehbar. "Unseres Erachtens ist es kein zu großer Eingriff in die künstlerische Freiheit", erklärt De Gasperi, "bei einer haushohen Fassadenbemalung eines denkmalgeschützten Gebäudes kleinere Motivanpassungen offen zu diskutieren. Insbesondere, wenn ein einziger, unbekannter und vorab inhaltlich nie besprochener Entwurf vorgelegt wird, der von mehreren beteiligten Parteien als unnötig provokativ empfunden wird." Trotz anfänglicher Bedenken sei die Gewofag den Verantwortlichen hier spürbar entgegengekommen, dennoch sei leider keine Bereitschaft vorhanden gewesen, eine Einigung zu erzielen.

"Für uns war das schockierend", kommentiert hingegen Tuncay Acar von Real München das Geschehen. So wie bei der ersten Version des Wandgemäldes seien für dessen Neuauflage die Wünsche der Hausbewohner und der Nachbarn abgefragt worden. "Frank Cmuchal hat sich große Mühe gegeben und einen Entwurf erstellt, der fast alle Eingaben aus der Anwohnerschaft berücksichtigt hat. Dabei hat er als zentrales Motiv ein Element ausgesucht, das nicht unbedingt die stereotypen Bilder für den Stadtteil bestätigt, aber dafür eine originelle und mutige motivliche Neubesetzung angeht: die Nashornskulptur am Grünspitz", sagt Acar. Für ihn ist der Entwurf des Wandbilds ein künstlerischer Ansatz, der mit althergebrachten Mustern der Darstellung des Viertels breche und innovativ in die vielfältige Zukunft Giesings weise. Die dynamische, vorwärtsgerichtete Haltung des Nashorns habe der Künstler bewusst übernommen, um auch die dynamische Entwicklung im Viertel mit seiner imposanten Geschichte zur Geltung zu bringen.

Silberhornstrasse 6

Verblasst ist das Wandgemälde an der Silberhornstraß und soll deswegen ersetzt werden.

(Foto: Catherina Hess)

Dazu gehört auch die Zerstörung des Uhrmacherhäusls an der Oberen Grasstraße 1. Und so hatte sich Frank Cmuchal im Bild den Witz erlaubt, den Abrissbagger von einem Hai - in Anspielung auf den gefürchteten Immobilienhai - bedienen zu lassen. Doch selbst das sollte aus dem ersten Entwurf auf Einspruch der Gewofag hin entfernt werden. Am meisten hatte die städtische Wohnungsgesellschaft laut Acar aber am Nashorn, der zentralen Figur des Gemäldes, zu kritisieren: zu aggressiv, zu martialisch, zu unfreundlich sei es, die gesamte Erscheinung des Tieres "fremdartig". Und nicht zuletzt am spitzen Ende des eher rundlichen Nashorns scheinen sich die Gewofag-Verantwortlichen gestoßen zu haben: Dessen Horn hätten sie als "Phallussymbol" bezeichnet, zugleich wirke es für sie so, als solle die Heilig-Kreuz-Kirche gewissermaßen aufgespießt werden. Eine Trambahn oder einen Löwen an Stelle des Nashorns hätte man sich bei der Gewofag als Hauptmotiv des Wandgemäldes aber durchaus vorstellen können, heißt es.

So viel künstlerischen Biedersinn empfand der BA allerdings als Zumutung: Er bewertet das Wandgemälde und das Konzept dahinter als rundum gelungen und will deshalb den Kulturverein weiter unterstützen. Auch Tuncay Acar empfindet die Trennung von der Gewofag inzwischen als folgerichtig, da sich deren Änderungswünsche am Ende nicht mehr mit der künstlerischen Freiheit vereinbaren ließen.

Und wie geht es nun weiter? Na ja, der Kulturverein hat bereits ein anderes Haus im Blick, auf dessen Fassade sich "Ois Giasing 3000" doch noch verwirklichen lässt.

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