Oberföhring:Zerbrechlich nah

Ich will dich

Selten gelöst: Gut zwei Jahre lang hat sich Filmemacherin Anna Ditges der betagten deutschen Lyrikerin Hilde Domin genähert. (oh)

(Foto: WDR/Punktfilm)

Anna Ditges zeigt Film über Hilde Domin

Von Jutta Czeguhn, Oberföhring

Am Anfang steht der Zufall, wie so oft im Leben. In einer Buchhandlung wird die junge Filmemacherin Anna Ditges vor einem Regal von der Verkäuferin zur Seite geschoben. "Lassen Sie mich mal die Domin einsortieren!" Der Gedichtband mit dem seltsamen Titel "Nur eine Rose als Stütze" macht Ditges neugierig. Sie kauft das Buch der unbekannten Autorin. Liest es in der Nacht in einem Rutsch durch und beschließt, diese Hilde Domin kennenzulernen. Der Kontakt gelingt, die Grand Dame der deutschen Nachkriegslyrik lädt die junge Frau zu sich nach Heidelberg ein. Hier setzt das Filmporträt "Ich will dich" ein, das Anna Ditges über ihre Begegnungen mit der Domin gedreht hat. Mit einem Strauß Rosen geht sie auf das Haus zu, das hoch über dem Neckar gelegen ist. Und läutet.

Anna Ditges wird anwesend sein am Freitag, 22. November, 19.30 Uhr, wenn im Gemeinschaftsraum des Vereins Progeno Park ihre Doku gezeigt wird. Unter Moderation des Filmdramaturgen Michael Füting stellt sie sich den Fragen des Publikums. Der Eintritt zum Filmabend an der Ruth-Drexel-Straße 154 kostet acht Euro.

Über einen Zeitraum von gut zwei Jahren hinweg bis zu Hilde Domins Tod im Februar 2006 besucht Anna Ditges die Dichterin immer wieder. Sie ist damals Mitte Zwanzig, fast siebzig Jahre jünger als die greise Dichterin, die ihre Urgroßmutter sein könnte. Das Verhältnis der beiden Frauen ist nicht spannungsfrei. "Hilde", wie Anna Ditges sie bald nennen darf, fährt ihr oft barsch über den Mund, wehrt ab, wenn die Fragen zu persönlich werden, und hadert immer wieder mit der Kamera, wenn die ihr Gesicht in den Fokus nimmt. "Man kann nicht einen Menschen, der über 90 ist, behandeln, als sei er 40 oder 20...", schimpft sie und fordert mehr Diskretion ein. "Ach, Hilde!", hört man Anna Ditges dann in solchen Momenten seufzen.

Oft filmt sie trotzdem weiter. Sie zeigt Hilde Domin, wie sie sich müde ins Bett zurückgezogen hat, wie sie beim Friseur ihr Hörgerät wieder einsetzt. Man sieht das Chaos in dem großen Haus, das die Dichterin seit dem Tod ihres Mannes und Lebensmenschen Erwin Walter Palm 1988 alleine bewohnt. Die Tablettenschachteln liegen auf dem Küchenbord. Nie aber nimmt die Filmemacherin diesem sehr alten Menschen die Würde. Die Dichterin, die als scheu und schwierig galt, hat Anna Ditges sehr nahe an sich herangelassen, womöglich weil sie ahnte, dass mit dem Film so etwas wie ein Vermächtnis entstehen würde. Sie erzählt von der glücklichen Kindheit in einem großbürgerlichen, aufgeschlossenen Elternhaus. In Köln, von Hilde Domin "magische Stadt" genannt. Sie erzählt, wie die Nazis ihre jüdische Familie auslöschen, wie sie, die einmal Hilde Löwenstein hieß, mit ihrem Mann über Italien und England in die Dominikanische Republik ins Exil flieht. Immer mit Gift - Veronal - im Gepäck. Domin, die sich nach der Insel benannt hat, berichtet von ihrer Kinderlosigkeit und der Abtreibung im Exil. "War es sehr schwer für dich?", will Ditges wissen, und Domin reagiert mit der einzig möglichen Antwort: "Was für eine doofe Frage!"

In einer der Schlüsselszenen läuft Domin, untergehakt bei ihrer jungen Freundin, über den Heidelberger Bergfriedhof. Sie will Rosen auf das Grab ihres Mannes legen, findet es aber nicht. Erschöpft gibt sie die Suche auf. Später wird man ihren eigenen, von gelben Rosen bedeckten Sarg sehen, der über den winterlichen Friedhof getragen wird zu eben jenem Grab mit dem berühmten Epitaph: "Wir setzen den Fuß in die Luft und sie trägt."

Der Sound des Films, das sind Domins Gedichte, von denen die Lyrikerin sagt, sie seien ihre Kinder. An einer Stelle erzählt eine befreundete Buchhändlerin, dass keiner ihrer Kunden den Laden verlassen durfte, ohne den neuesten Lyrikband Domins mitzunehmen. Auch Anna Ditges wunderbarer Film ist eine Nötigung. Wer ihn gesehen hat, kann nicht anders, als Domins Gedichte zu lesen

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