Süddeutsche Zeitung

Oberföhring:Am Ziel

Zwei Jahre lang hat die Stiftung Pfennigparade ihr Natur-, Sport- und Erlebnis-Areal zwischen Isar und Isarkanal so umgebaut, dass auch Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen dort ohne Probleme zurechtkommen. Jetzt ist die "Insel" offiziell eröffnet worden

Von Ellen Draxel, Oberföhring

Die Eingangsrampe ist von blumenbewachsenen Rankgittern gesäumt. Auf kleinen Schildchen steht "Beach" und "Relax", darunter baumeln selbstgebastelte Holzsandaletten. Ein paar Meter weiter öffnet sich der Blick auf ein weites Sportgelände samt Tartanbahn und Hartplatz, idyllisch eingewachsen von Bäumen und Wiesen.

Das Gelände, das Besucher so einladend willkommen heißt, liegt mitten im Grünen direkt am Oberföhringer Wehr, umspült von Isar und Mittlerem Isarkanal. Ein 8000 Quadratmeter großes Freizeitareal der Stiftung Pfennigparade, das das Münchner Rehabilitationszentrum für körperbehinderte Menschen jetzt zu einer inklusiven Natur-, Sport- und Erlebnis-Landschaft, kurz "Insel", umgebaut hat.

"Schon der erste Schritt hierher vermittelt einem ein Wohlgefühl, als käme man in eine Oase", sagte Bayerns Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) bei der offiziellen Eröffnung der "Insel". Genau das will der Ort an der Mittlere-Isar-Straße 11 für all diejenigen sein, die ihn finden: eine Insel für ein buntes Miteinander. Für Menschen mit und ohne körperliche Einschränkungen. Für Kinder, Erwachsene, Familien, Schulen und Firmen. Eine Insel, wo erlebnispädagogische Naturerfahrungen ebenso möglich sind wie Sport- und Kooperationsspiele oder Teambuilding-Events.

"Dieser Ort bietet eine große Chance, denn Inklusion findet ja viel zu oft in Verbindung mit sozialen Einrichtungen und Projekten statt", sagte Pfennigparaden-Vorstand Ernst-August von Moreau zu Beginn der Eröffnungsfeier. Trautner pflichtete ihm bei: Auf der Insel, sagte sie, verschwänden Berührungsängste "ganz von selbst". Und noch mehr: Dieses Gelände trage "dazu bei, dass eine Generation heranwächst, für die Vielfalt ganz selbstverständlich ist". Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) lobte die "Insel" gar als "absolutes Leuchtturmprojekt" und einen "wirklichen Beitrag zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention".

Begegnung und Bewegung für Menschen mit und ohne Handicap zu ermöglichen, das ist das Motto für die "Insel". Und nicht erst seit heute. Bevor vor zwei Jahren der Umbau begann, hatten Trainer, Erlebnispädagogen und Sportlehrer bereits regelmäßig Workshops, Events, Ferienprogramme und Spiele auf der "Insel" veranstaltet. Zuvor hatte das Grundstück der Firma Eon als Betriebssportgelände gedient. Als der Stromanbieter den Standort verließ, schenkte er der Pfennigparade das Areal - auf Anregung von Christof Gattermann, der im Management von Eon tätig war und eine Tochter hat, die damals bei der Pfennigparade zur Schule ging.

Zu diesem Zeitpunkt war das Gelände ganz eingewachsen. "Es sah aus wie ein Dornröschenschloss", erinnert sich "Insel"-Programmleiter Markus Mair. "Schön, aber auch erschreckend." Aus diesem "Juwel" etwas zu machen, das wusste er, "wird viel Arbeit". Also räumten Mair und sein Team auf, stutzten Büsche und Sträucher, machten die Wege befahrbar und das Gelände so provisorisch nutzbar. Einen naturnahen Sportplatz samt Fußballfeld und Flutlichtanlage gab es ja bereits, auch ein Vereinsheim und eine kleine Werkstatt für Gerätschaften waren vorhanden. Wirklich barrierefrei und damit inklusiv aber war das Areal seinerzeit nicht. Das ist es erst seit dem Abschluss der Sanierungsmaßnahmen mit Kosten in Höhe von 1,5 Millionen Euro.

"Wir haben jetzt Rampen, und über die befestigten Strecken können auch große, schwere Rollstühle fast alle Ecken der ,Insel' erreichen", so Moreau. Behindertengerechte Umkleiden wurden geschaffen, eine Küchenzeile, um Essen zuzubereiten, da besonders Kinder und Jugendliche mit vegetativen Störungen regelmäßig Nahrung zu sich nehmen müssen. Und es finden sich nun ausreichend Sanitärräume, darunter eine Toilette, "wie es sie auf einem Sportplatz in Deutschland vermutlich kein zweites Mal gibt", glaubt Mairs "Insel"-Kollege Lutz Pfleghar. Mit Dusche plus Rollstuhlsitz, einem Deckenlifter und einer Pflegeliege, damit auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf das Gelände nutzen können.

"Wir können Ballspiele anbieten, Leichtathletik, Disc-Golf, Boule oder auch Gymnastik im Freien", ergänzt der Sportchef. In Kooperation mit dem städtischen Sportamt und dem Programm "Fit im Park" findet bereits jeden Mittwochvormittag Qi Gong auf der "Insel" statt. Und gemeinsam mit der VHS gibt es Bogenschieß-Kurse. "Das Angebot wird aber noch ausgeweitet, es entwickelt sich gerade." Für Schulen, Kindergärten und Vereine sind Naturerfahrungen auf dem Gelände möglich, inklusive Basteln, Bienen erforschen, Flöße bauen, Stockbrot backen, entspannen.

Denn die Insel ist nicht nur ein soziales Vorzeigeprojekt, sie ist auch ein ökologisches Refugium. Nicht umsonst dient das Grundstück dem inklusiven Waldkindergarten der Phoenix Schulen und Kitas GmbH der Pfennigparade als Stützpunkt. Auch spezielle Schnitzkurse sind buchbar. Und für Unternehmen bieten sich Teamfindungsmaßnahmen, ein Perspektivenwechsel oder auch erlebnispädagogische Events an.

Eine Besonderheit ist das Race-Running. Die Sportart wird 2024 olympisch, auf der Insel möchten die Pfennigparade und der TSV 1860 München ein Wettkampfteam aufbauen. Eine Kinder- und Jugend- sowie eine Erwachsenengruppe mit jeweils sieben Teilnehmern trainieren schon seit Längerem eineinhalb Stunden pro Woche. Beim Race-Running dient Menschen mit einer Cerebralparese, die aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung in ihren Bewegungen eingeschränkt sind, ein Dreirad ohne Pedale als Hilfsmittel zur Fortbewegung. "Wer gehen kann, kann damit laufen", erklärt Trainer Pfleghar. "Und wer laufen kann, kann damit rennen." Die elfjährige Giulia und der 13-jährige Tim rennen sehr gern. Bei der Feier haben die beiden Schüler mit ihrem Zieldurchlauf das Gelände offiziell eröffnet.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2021
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