Obdachlose in München:Nicht jeder bekommt ein Bett

Unter der Reichenbachbrücke nächtigen, wie so oft in illegalen Camps, Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Die Stadt duldet solche wilden Lager nicht.

Unter der Reichenbachbrücke nächtigen häufig Menschen aus Osteuropa. Die Stadt duldet solche Lager nicht.

(Foto: Robert Haas)
  • Unter der Brücke zur Landshuter Allee haben über Monate Menschen gelebt.
  • Die Stadt hat das Camp geräumt, das grundsätzliche Problem ist damit nicht gelöst.
  • Bewohnt werden solche Camps häufig von Menschen aus Osteuropa, die meist keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Von Dominik Hutter

Wahrscheinlich hat es kaum jemand mitbekommen. Dass da unter der Brücke zur Landshuter Allee, auf der man so oft im Stau steht, Menschen gewohnt haben. Monatelang, ohne Toiletten, ohne fließendes Wasser. Dafür inmitten von Abfällen, die sich bei solchen Camps fast zwangsläufig ansammeln, denn natürlich lag das illegale Zeltlager an keiner Route der städtischen Müllabfuhr. Irgendwann erfuhren auch die Behörden von dem schwer einsehbaren Treiben im Schatten des riesigen Verkehrsknotens, bald gingen Sozialarbeiter ein und aus. Bis das Camp schließlich auf Betreiben der Stadt geräumt wurde.

Wie das eben so läuft mit wilden Obdachlosencamps, denn ein Einzelfall war das Lager am Olympiapark keineswegs. 30 bis 40 Mal, so schätzt Münchens Wohnungsamtschef Rudolf Stummvoll, werden die Behörden pro Jahr tätig, wenn sie von solchen Camps erfahren. Bewohnt werden sie vor allem von Osteuropäern, zumeist Rumänen und Bulgaren, die schon in ihrer Heimat oft am Rande der Gesellschaft standen, weil sie Minderheiten angehören. Die Szene ist in starker Bewegung, hat Sozialreferentin Dorothee Schiwy beobachtet, immer wieder geht es hin und her zwischen den Heimatorten und München.

Das Problem dieser Klientel: Die Menschen haben normalerweise keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Und damit auch nicht auf eine der Unterkünfte, die das Sozialreferat für Obdachlose bereithält. Lediglich im Winter, wenn im Freien Nächtigende in ernsthafter Gefahr sind, steht ihnen das Kälteschutzprogramm in der Bayernkaserne offen. Ansonsten gilt: Wer über eine Heimatadresse in einem EU-Land verfügt, gilt nicht als wohnungslos. Auch wenn er in Wahrheit unter einer Straßenbrücke am Mittleren Ring nächtigt. Oder zwischen Bahngleisen im Münchner Osten. Oder unter den Isarbrücken. Manchmal auch in einem Auto.

Wie sehr sich die Obdachlosenszene verändert hat, ist Stummvoll erstmals im kalten Winter 2011/12 so richtig bewusst geworden. Damals seien bei tagelangem Frost obdachlose Menschen aus Osteuropa aufgefallen, "die wir bislang nicht auf dem Schirm hatten". Plötzlich galt nicht mehr, was eine jahrelange Münchner Gewissheit war: Dass man notfalls jedem Obdachlosen ein Bett anbieten kann. Wenn er denn will. Das auf die Wintermonate beschränkte Kälteschutzprogramm fängt zumindest die größten Härten auf, im Sommer aber gibt es für die zumeist als Tagelöhner angereisten Menschen aus Osteuropa bis heute keine Schlafmöglichkeiten in städtischen oder von der Stadt angemieteten Häusern.

Seit 2013 trifft sich alle 14 Tage unter Federführung des Sozialreferats die Arbeitsgruppe prekäres Wohnen und wildes Campieren, an der mehrere städtische Referate, die Polizei und die Leitung der Streetwork-Teestube "komm" beteiligt sind. Es ist kein Zufall, dass nicht die Ordnungs-, sondern die Sozialbehörde den Ton angibt - zunächst soll die Hilfe im Vordergrund stehen. Langfristig geduldet werden die Schlaflager zwischen Büschen oder unter Beton trotzdem nicht. "Wir wollen keine verfestigten Camps in München", berichtet Schiwy.

Ziel der Sozialarbeit ist es deshalb auch immer, den Menschen klarzumachen, dass das Leben im Camp kein Dauerzustand sein kann, zumindest nicht in München. Wenn dann, wie an der Landshuter Allee, geräumt wird, ist immer auch die Polizei vor Ort. Schon zum Schutz der städtischen Mitarbeiter. Obwohl das, wie das Sozialreferat versichert, noch niemals notwendig gewesen ist.

Wie die Stadt konkret vorgeht

Angefangen hat es an der Landshuter Allee, wie es immer anfängt, wenn die Stadt von einem wilden Camp erfährt. Zunächst kommen Sozialarbeiter vorbei und versuchen sich ein Bild von der Situation zu machen. Zugang zu finden. Wie viele Menschen wohnen dort? Wie sind ihre Lebensumstände? Was lässt sich tun, um die Menschen zu unterstützen? Die Obdachlosen können erfahren, welche Anlaufstellen und Hilfsmöglichkeiten es für sie gibt und welche Rechte sie haben.

Das ist nicht zuletzt bei den prekären Jobs notwendig, die sie sich manchmal täglich am sogenannten "Tagelöhnerstrich" im Bahnhofsviertel neu suchen müssen. Bezahlt wird meistens unter Mindestlohn, manchmal aber auch gar nicht. Sicherheitsvorgaben werden missachtet, die Arbeitszeiten absurd ausgedehnt. "Es gibt keine Schäbigkeit, die es nicht gibt", ärgert sich Stummvoll über die Auftraggeber der armen Osteuropäer.

Zur klassischen Sozialarbeit kommt aber noch etwas hinzu: die Aussage "ihr könnt hier nicht bleiben". Feste Zeltstädte mit allem Drum und Dran, wie etwa in Paris, sind in München unerwünscht. Offiziell ist wildes Campieren in München verboten, das gilt auch die Tagelöhner-Lager, die es in den unterschiedlichsten Größenordnungen im ganzen Stadtgebiet gibt.

Zur Beratung gehört oft auch das Angebot der Stadt, die Heimreise zu finanzieren - und immer wieder wird das auch angenommen. "Wir bauen eine Kommunikation auf und helfen", berichtet Schiwy, der Abbau der Schlafstätten solle möglichst im Dialog erreicht werden. Was nicht immer ganz einfach ist, denn ohne Dolmetscher seit oft keine Verständigung möglich. Wenn alle Angebote fehlschlagen und das Camp weiter existiert, berät der Arbeitskreis über eine Räumung. An der Landshuter Allee haben die Experten diesen Schritt empfohlen.

Auch dann aber rückt nicht etwa ein großes Polizeiaufgebot zu nachtschlafener Stunde an. Zunächst informieren mehrsprachige Schilder die Bewohner über das Campierverbot, Ziel ist es noch immer, dass das Lager freiwillig aufgelöst wird. Es folgt ein Räumungstermin. Und schließlich die Räumung, bei der Mitarbeiter des Sozial-, Kreisverwaltungs- und Baureferats und eben die Polizei anwesend sind. Eine Firma entsorgt anschließend den Müll.

Auch dem Sozialreferat ist klar, dass die Auflösung der Camps keine Lösung darstellt. Klar, manchmal reisen die Menschen heim (manche kehren dann aber auch wieder zurück), manche schaffen den Sprung in ein Arbeiterwohnheim. Einige gehen aber nur einige hundert Meter weiter und eröffnen dort das nächste Camp. "Wir bringen die Menschen nicht ins Sozialleistungssystem", sagt Stummvoll. Dass so viele Osteuropäer ihr Glück in München suchen, habe einen ganz einfachen Grund: "das deutliche Wohlstandsgefälle".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: