Obdachlosigkeit:"Hier auf der Straße ist es besser"

Obdachlosigkeit: Maciej Kwiatkowski lebt seit sieben Jahren in München. Aktuell schläft er in der Nähe der Hackerbrücke.

Maciej Kwiatkowski lebt seit sieben Jahren in München. Aktuell schläft er in der Nähe der Hackerbrücke.

(Foto: Catherina Hess)

In München leben auch Obdachlose aus dem EU-Ausland. Vier von ihnen erzählen, wie sie in Deutschland scheiterten und unter welchen Umständen sie nun leben.

Von Kathrin Aldenhoff

Es ist schwierig, einen Weg zurück zu finden. Von der Straße zurück in ein Leben mit einem Dach über dem Kopf. In ein Haus, in dem man nicht nur stundenweise bleiben darf. In ein Leben mit Arbeit und eigenem Geld, ohne Flaschen zu sammeln und Almosen. Am schwierigsten ist dieser Weg für Menschen, die keinen deutschen Pass haben. Die aus Polen, der Slowakei, aus Ungarn oder Rumänien nach Deutschland gekommen sind - ganz legal als Bürger der Europäischen Union, um hier ihr Glück zu suchen, um zu arbeiten, ein gutes Leben zu führen. Und die dabei gescheitert sind.

Maciej Kwiatkowski zum Beispiel. Der Pole, 40, lebt seit sieben Jahren in München. Er ist Schlosser und Schweißer, kam nach Deutschland, um hier zu arbeiten; in Polen hat er niemanden mehr. Drei Jahre ging das gut, sagt er, doch dann lief sein Vertrag aus. "Jetzt wohne ich auf der Straße." Er spricht Deutsch, mit Fehlern zwar, aber er kann sich gut verständigen. Den Rucksack mit seinen Sachen trägt er auf dem Rücken, er kann ihn nirgendwo lassen. Er schläft in der Nähe der Hackerbrücke. "Das ist ein guter Platz", sagt er, "sauber und sicher."

Wie viele Menschen in München auf der Straße leben, weiß keiner genau, es gibt keine aktuelle Zahl. Eine Studie soll das bald feststellen. Pfarrer Toni Weber lädt Menschen wie Kwiatkowski, Männer und Frauen von der Straße, jede Woche zu sich in die Gemeinde St. Sebastian im Nordwesten von München ein. "Darf ich dir was zum Trinken anbieten?", fragt Weber. "Hm, ja, einen Whiskey", sagt Kwiatkowski und lacht. Whiskey ist nicht im Angebot, das weiß er, aber Apfelsaft.

Der Pole hat seinen Humor nicht verloren, die Straße hat ihm den nicht genommen, und auch seine kaputten Beine haben das nicht getan; jeden Tag muss er sie neu bandagieren lassen. "Hier auf der Straße ist es besser als in Polen auf der Straße", stellt Kwiatkowski nüchtern fest. Hier gibt es eine Arztpraxis, in der Ärzte auch Menschen ohne Krankenversicherung behandeln, kostenlos. Was er noch braucht, ist ein neuer Pass. Sein alter wurde ihm geklaut, das passiert vielen auf der Straße. Sobald er wieder einen hat, will er arbeiten. Einen Arbeitgeber, der ihn anstellen will, habe er schon gefunden, sagt er.

Obdachlose aus Ost- und Südosteuropa müssen in München nicht verhungern. Es gibt mehrere Orte, wo sie etwas zu essen bekommen, Kaffee und Tee, wo sie neue Kleidung erhalten und wo sie ein paar Nächte schlafen können. Das Kälteschutzprogramm wird in diesem Jahr erstmals im Sommer fortgeführt - 300 Übernachtungsplätze für Obdachlose wird es in der Bayernkaserne von Mai bis Oktober geben. Im Winter sind es knapp 900.

Anton Auer leitet beim Evangelischen Hilfswerk den Bereich Wohnungslosenhilfe, das Hilfswerk betreibt das Kälteschutzprogramm. Er ist stolz darauf, dass es dieses Programm gibt, dass sie freie Plätze haben, dass in München niemand auf der Straße schlafen müsse. Vergangenen Winter haben insgesamt 3000 Menschen im Kälteschutz übernachtet. Die Hälfte kam aus Rumänien und Bulgarien.

"Viele von ihnen sind angewiesen auf Sozialhilfe, bekommen sie aber nicht", sagt Auer. Dabei ist das alles gesetzlich geregelt: Auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigt eine Übersicht, wann EU-Bürger in Deutschland einen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Wenn sie nachweisen, dass sie länger als ein Jahr gearbeitet haben, bekommen sie Arbeitslosengeld I und danach Hartz IV. Arbeiten sie weniger als ein Jahr, bekommen sie höchstens ein halbes Jahr Hartz IV. Wenn sie nachweisen können, dass sie seit fünf Jahren in Deutschland leben, erhalten sie Sozialleistungen.

Von der Straße aus ist das Arbeiten eine Herausforderung

Artur Ucher ist einer von ihnen. Seit 16 Jahren lebt der Pole in Deutschland, Hartz IV bekommt er dennoch nicht. Er lebt davon, Flaschen zu sammeln, die andere wegwerfen. Der Pole übernachtet in der Bayernkaserne, im Kälteschutzprogramm. Sobald es warm genug ist, will er wieder auf der Straße schlafen. Die Bayernkaserne hat keinen guten Ruf bei den Obdachlosen, es wird viel geklaut, sagen sie, deswegen nehmen sie ihre Handys und ihre Geldbeutel mit auf die Toilette, lassen nichts unbeobachtet im Zimmer. Ucher ist 48 Jahre alt, hat in Köln gearbeitet und in München, seit zwei Jahren hat er keine Arbeit mehr. Als seine Frau und er sich trennten, hatte er auch keine Wohnung mehr.

Auch nach all den Jahren spricht er nicht gut Deutsch. Halina Möller hat sich neben ihn auf einen Stuhl gesetzt und übersetzt. Die Männer und Frauen, die regelmäßig am Donnerstag herkommen, sie kennen sich, sie helfen sich. Halina Möller hat Glück gehabt, nach einem Jahr auf der Straße hat sie einen Platz in einer Pension bekommen, seit drei Monaten lebt die 55-Jährige dort. 1981 kam sie aus Polen nach Deutschland, sie hat die ganze Zeit gearbeitet, sagt sie, als Verkäuferin und im Sicherheitsdienst, bis sie krank wurde. Dann verlor sie ihren Job. Sie hatte Schulden, konnte die Raten nicht mehr zahlen, musste ins Gefängnis. Nun will sie endlich wieder ganz normal arbeiten.

Von der Straße aus ist das Arbeiten schwierig. Man muss sich ja waschen morgens, Frühstück organisieren. All das dauert lange, wenn man auf der Straße lebt und kein Geld hat. Trotzdem pünktlich bei der Arbeit zu sein - eine Herausforderung. Dazu kommt: Nicht jeder Job, den Obdachlose bekommen, ist offiziell. Nicht jeder, der ihnen Arbeit gibt, zahlt für sie Sozialabgaben. Viele verdingen sich als Tagelöhner, manche geraten an Betrüger. Und ohne Arbeitsvertrag keine Wohnung. Ein Teufelskreis.

Ein Platz im Wohnheim kann da zwar ein Ausweg sein: das Leben stabilisieren, eine gute Arbeit finden und dann vielleicht auch wieder eine eigene Wohnung. Wer jedoch keinen Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland hat, der müsste diesen Wohnheimplatz in der Wohnungslosenhilfe selbst bezahlen. Und selbst wenn so ein Platz nur ein paar Euro am Tag kostet: Wovon sollen Obdachlose den bezahlen? Vom Flaschenpfand? Die Europäische Union, sie scheint für diese Menschen in ihrer Situation keine Lösung bereitzuhalten. Anton Auer vom Evangelischen Hilfswerk sagt, die Politik müsste Gesetze ändern, nach Lösungen suchen. "So dass jeder EU-Bürger in der EU auch menschenwürdig leben kann."

Frantisek Stasko kam als Saisonarbeiter aus der Slowakei nach Deutschland, er ist über 50 Jahre alt, seit mehr als 20 Jahren arbeitet er hier, erst in Köln, später in Augsburg, dann in München. Er spricht gut Deutsch, erzählt, dass er im Moment in der Bayernkaserne übernachtet, eine andere Möglichkeit gebe es für ihn nicht. Geld vom Sozialamt bekommt er nicht, auch er sammelt Flaschen, fährt oder läuft durch die Stadt, um an unterschiedlichen Tagen an unterschiedlichen Orten ein kostenloses Mittagessen zu bekommen. Vielleicht kann er ja bald im Haus an der Pommernstraße leben, bei den Schwestern und Brüdern vom heiligen Benedikt Labre. Pfarrer Toni Weber versucht gerade, ihm einen Platz zu vermitteln. "Kann ich meine Sachen dann dort lassen?", fragt Stasko unsicher. Weber nickt und sagt: "Du könntest dann dort wohnen."

Es wäre ein Ort, der mehr ist, als ein Dach über dem Kopf für ein paar Stunden. Ein Ort, wo Frantisek Stasko seinen Rucksack ablegen und seinen Geldbeutel liegen lassen kann, ohne Angst haben zu müssen, dass er geklaut wird. Ein Ort, der ihm eine Chance gibt.

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