Behörden-Beschluss:Stadt räumt Obdachlosenlager an der Reichenbachbrücke

Behörden-Beschluss: Die Habseligkeiten der Wohnungslosen unter der Wittelsbacherbrücke werden unter Polizeischutz in grünen Containern entsorgt.

Die Habseligkeiten der Wohnungslosen unter der Wittelsbacherbrücke werden unter Polizeischutz in grünen Containern entsorgt.

(Foto: Thomas Anlauf)
  • Das Sozialreferat hat das Obdachlosenlager an der Isar, gesichert von zwei Dutzend Polizisten, zwangsgeräumt.
  • Rund 20 Aktivisten der Kampagne "Wir wollen wohnen" haben sich vor der Reichenbach- und der Wittelsbacherbrücke versammelt, sie fordern auf Plakaten "Wohnraum für alle" und "Armut bekämpfen, nicht Arme".
  • Zuletzt hatte es zweimal unter der Reichenbachbrücke gebrannt, ein schlafender Mann konnte noch rechtzeitig vor dem Feuer gerettet werden.

Von Thomas Anlauf

Um 8.02 Uhr ist es vorbei. Zwei Laster mit großen grünen Containern rumpeln über die gefrorene Wiese an der Reichenbachbrücke und bringen fort, was sich so alles angesammelt hat unter der Brücke. Matratzen, Nachtschränkchen, Holzverschläge, ein Einkaufswagen. Donnerstagfrüh um sieben Uhr startet die Zwangsräumung des Obdachlosenlagers an der Isar. Etwa zwei Dutzend Polizisten sichern die Aktion des Sozialreferats, doch alles bleibt friedlich. Rund 20 Aktivisten der Kampagne "Wir wollen wohnen" haben sich vor der Reichenbach- und der Wittelsbacherbrücke versammelt, wo zuletzt bis zu 30 Menschen lebten. Sie fordern auf Plakaten "Wohnraum für alle" und "Armut bekämpfen, nicht Arme".

Die Räumungsaktion der Behörde war schon wochenlang angekündigt. Zunächst auf Aushängen unter den Brücken, dann kamen Sozialarbeiter und klärten die Obdachlosen auf, dass die Camps nun aufgelöst werden müssten. Seit 1. November hat der Münchner Kälteschutz in der Bayernkaserne geöffnet, wo bis zu 850 Menschen übernachten können. Künftig steht das Notquartier sogar ganzjährig kostenlos für Obdachlose zur Verfügung. Die Stadt will mit der Räumung verhindern, dass sich die sogenannten wilden Camps unter den Isarbrücken oder in Parks "verfestigen". Die Lager unter den beiden Brücken sind in den vergangenen Monaten stetig gewachsen, unter den Steinbögen lagerten so viele Möbel und Holzverschläge, dass an diesem Donnerstagfrüh mehrere große Container fast vier Stunden lang bis oben hin befüllt werden. Zuletzt hatte es zweimal unter der Reichenbachbrücke gebrannt, ein schlafender Mann konnte noch rechtzeitig vor dem Feuer gerettet werden.

Auch die Kälte bereitet den Sozialarbeitern Sorgen. Die Menschen, die im nahenden Winter im Freien schlafen, drohen zu erfrieren oder schwer krank zu werden. "Wenn das hier unsere einzige Aktion wäre", sagt Rudolf Stummvoll und deutet auf die Männer, die gerade die Möbel unter der Wittelsbacherbrücke zusammenräumen, "dann wäre das scheiße." Doch der Chef des Amts für Wohnen und Migration spricht von einem Mosaikteppich an Maßnahmen, um Menschen ohne Obdach in ein menschenwürdiges System zu bringen. Denn "jeder, der nach München kommt, ist willkommen", sagt Stummvoll.

Natürlich stimmt er den Demonstranten zu, die Wohnraum für alle fordern. Das wünsche er sich auch. Doch derzeit warten etwa 9000 Münchner darauf, eine Wohnung über das Sozialreferat zu bekommen. In diesem Jahr könne Stummvoll aber nur 2800 Menschen ein Apartment vermitteln, es fehlt schlicht an genügend sozial geförderten Wohnungen in der Stadt.

Trotzdem habe sein Amt in diesem Jahr 43 Haushalte mit Menschen, die unter den Brücken lebten, "in reguläre Wohnungen gebracht" und 600 Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die in München auf der Straße saßen, in Pensionen untergebracht. Es gebe neben dem Kälteschutz zahlreiche Hilfsangebote für Wohnungslose, "in München muss niemand auf der Straße leben", sagt Stummvoll. Wenn es keine Angebote gäbe und Obdachlose tatsächlich unter den Brücken schlafen müssten, "dann möchte ich in dieser Stadt nicht leben".

Stummvoll hat in den vergangenen Tagen den Obdachlosen, von denen einige offenbar gar nicht unter der Brücke, sondern in Unterkünften schlafen, mehrfach angeboten, in sein Wohnungsamt zu kommen, damit nach Möglichkeiten gesucht wird, wie ihnen geholfen werden kann. Am Donnerstag nutzten laut Sozialreferat fünf Betroffene das Angebot. Die anderen gingen in den Kälteschutz. Ihr Lager unter der Brücke gibt es nicht mehr.

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