OB Ude über die Wahl:"Noch viele Erdbeben in der CSU"

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Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) über die Veränderung der bayerischen Politik und die Folgen für die Stadt.

Jan Bielicki

SZ: Edmund Stoiber hat die Landtagswahl eine "Zäsur" genannt. Wie sehen Sie das Ergebnis?

Christian Ude und Frau bei der Wahlkampf-Kundgebung der SPD am Marienplatz. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Christian Ude: Es war ein freier Fall der CSU, wie man ihn sich als politischer Gegner gewünscht hat - vor allem, wenn man sie jahrzehntelang erdulden musste. Die Arroganz der Macht war schon sehr ausgeprägt. Ich bin sehr erleichtert, dass die Ein-Parteien-Herrschaft überwunden und Bayern nun wie alle Demokratien ein Land ist, in dem man sich den Wechsel von Regierung und Opposition vorstellen kann. Jetzt wird das politische Leben in Bayern ungleich lebendiger.

SZ: Wird der neue Parteivorsitzende Horst Seehofer die Wunden der CSU heilen können?

Ude: Er ist sicherlich eine zugkräftigere Persönlichkeit als Erwin Huber. Aber die CSU werden noch viele schwere Erdbeben erschüttern. Man sollte sich die Genesung durch Personalwechsel nicht so einfach vorstellen.

SZ: Wen hätten Sie denn gerne als Ministerpräsidenten?

Ude: Horst Seehofer kann ich landespolitisch überhaupt nicht einschätzen. Dagegen war mein Verhältnis zum Ministerpräsidenten Edmund Stoiber 15 Jahre lang sehr gut. Auch mit Günther Beckstein war es ganz in Ordnung. Er hat in einigen Fragen die kommunalfreundlichste Haltung aller Länderchefs bewiesen.

SZ: Die SPD dagegen verlangt, ihr Spitzenmann Franz Maget solle Ministerpräsident einer Vierer-Koalition werden. Ist das nach den Stimmverlusten der SPD nicht eine Anmaßung?

Ude: Wilhelm Hoegner hat als sozialdemokratischer Ministerpräsident in den Fünfziger Jahren bewiesen, dass eine Vierer-Koalition funktionieren kann. Aber das setzt voraus, dass vier Partner zusammenwirken wollen, und das scheint bei der FDP dezidiert nicht der Fall zu sein. Deshalb wäre ich mit dieser fröhlichen Verheißung zurückhaltender.

SZ: Was bedeutet das sowohl im Land wie in München historisch schlechteste Wahlergebnis für die SPD?

Ude: Beide Volksparteien werden aufgezehrt durch das, was man in der Wirtschaft das Outsourcing ganzer Wählergruppen nennen würde. So sind einst die Grünen ein selbständiges Unternehmen geworden, jetzt kommt mit der Linken eine weitere Ausgründung aus ehemals sozialdemokratischen Reihen hinzu. Die CSU erlebt präzise dasselbe: das Outsourcing von Wählern an verwandte Parteien wie FDP und Freie Wähler.

SZ: Drohen durch die Schwäche der Volksparteien auch in München hessische Verhältnisse?

Ude: Nein. Kommunalwahlen in München haben sich immer grundlegend von anderen Wahlen unterschieden.

SZ: Weil die SPD einen populären OB als Spitzenkandidaten hatte. Das wird 2014 nicht mehr der Fall sein.

Ude: Richtig. Die SPD wird sich bei der nächsten Wahl schwerer tun. Auch ich habe mich 1993 als Newcomer äußerst schwer getan. Und die SPD war 1996 mit einem noch jungen OB auch schwächer. Sie muss sich auf allen Ebenen diesen Ernst der Lage klar machen. Manche meinen ja, dass es einen Garantieschein für sozialdemokratische Stadtregierung gebe und man munter aus der Reihe tanzen könne. Aber so ist es nicht.

SZ: Ist die SPD noch eine Volkspartei, wenn sie in München nicht einmal ein Drittel der Wähler erreicht?

Ude: Die SPD ist in den Städten, wo sie den OB stellt, zweifelsohne Volkspartei, anders als in manchen Kleinstädten. Wir haben es mit dem Phänomen zu tun, dass beide Volksparteien Schwund erleiden.

SZ: Woran liegt das?

Ude: Die Beteiligten einer Großen Koalition verlieren immer Profil. Dazu kommen wirtschaftliche Ängste und soziale Probleme. Drittens wollen viele Wähler sich nicht mehr in die große Solidarität einer Volkspartei einordnen. Die Folge ist Aufsplitterung, so dass man schon über Dreier-Koalitionen nachdenken muss. Dabei setzen ein rot-grün-gelbes wie ein schwarz-grün-gelbes Bündnis voraus, die Neoliberalen von der FDP und die Grünen unter einen Hut zu bringen. Da wünsche ich viel Vergnügen.

SZ: Es gäbe noch Rot-rot-grün...

Ude: Nicht in Bayern. Hier verhelfen linke Protestwähler höchstens CSU-Kandidaten zum Direktmandat.

SZ: Aber könnte sich die Frage nicht im Bundestag stellen?

Ude: Im Jahr 2009 wäre eine solche Konstellation nicht regierungsfähig. Das kann eine Legislaturperiode später schon ganz anders aussehen. Man hat ja schon bei den Grünen gesehen, wie einstige Schmuddelkinder heute von der CDU/CSU umschwärmt werden.

SZ: Wie muss die SPD in die Bundestagswahlen gehen?

Ude: Die personellen Voraussetzungen sehe ich mit dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier als erfüllt an. Beim Zustand der SPD sehe ich jedoch noch großen Nachbesserungsbedarf. Vor allem an ihrem sozialen Profil muss die SPD arbeiten. Ich halte nichts davon, die Agenda 2010 zu den Zehn Geboten emporzustilisieren. Die Agenda hatte gute und notwendige Elemente, aber auch handwerkliche Fehler, bei denen man sich die Haare raufen könnte.

SZ: Was erwarten Sie von einer künftigen Koalitionsregierung im Land?

Ude: Für München bedeutet das neue Chancen und neue Risiken. Der Freistaat könnte im Ausländerrecht, im Versammlungsrecht, beim Datenschutz liberaler werden. In der Steuerpolitik oder beim Umgang mit öffentlichen Unternehmen stand uns der von der CSU allein regierte Freistaat deutlich näher als die FDP.

© SZ vom 01.10.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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