NullAchtNeun:Leiden an der großen Liebe

Die Liebe Münchens zum TSV 1860 ist von der Art, wie man sie aus Tragödien kennt: unglücklich, hoffnungslos und desaströs. Egal, was sie machen, es geht stets etwas schief.

Wolfgang Görl

"Münchens große Liebe" - das steht auf der Webseite des TSV 1860, und obschon nicht jeder Münchner von dieser Liebe beseelt ist, sind es doch genug, um den Spruch gelten zu lassen.

Leider ist diese Liebe von der Art, wie man sie aus Tragödien kennt, also unglücklich, hoffnungslos und desaströs. Diese Woche war es wieder mal besonders arg - was sich da abspielte, weckte Assoziationen zum Titel eines Fassbinder-Films: "Liebe ist kälter als der Tod."

Die Stadt, die die Löwen angeblich so liebt, hat den Verein eiskalt zurückgewiesen bei dessen Begehren, auf Giesings Höhen ein bundesligataugliches Stadion zu errichten. Dass die Sechziger die Auflagen nicht würden erfüllen können, hatte Oberbürgermeister Christian Ude schon vor geraumer Zeit prophezeit; dennoch hatte man das 1860-Präsidium samt Stadionkommission im Rathaus antanzen lassen getreu dem Achternbusch-Motto "Du hast keine Chance, aber nutze sie".

Es kam dann, wie es immer kommt, wenn die Münchner Löwen zum Sprung ansetzen: Sie landen im Abgrund, verheddern sich im Gebüsch, irgendetwas geht in jedem Fall schief.

Vielleicht wollte Ude die Sechziger-Fans ja nicht mit einem unverhofften Erfolgserlebnis verunsichern, schließlich ist er selbst bekennender Löwe und weiß, dass der Weltgeist die Blauen zum permanenten Scheitern verurteilt hat. Was die Prädestination zum Missgeschick betrifft, sind die Löwen nur noch mit der bayerischen SPD vergleichbar, weshalb Menschen wie beispielsweise Franz Maget, die in den beiden Unglücksorganisationen tätig sind, tiefstes Mitleid verdienen.

Entsprechend gestimmt ist man auch im Rathaus, wo sich kein Finger rührt, um den Verein aus der babylonischen Gefangenschaft in der Arena des ungeliebten Lokalrivalen zu befreien. Wenn die Löwen in Fröttmaning vor die Hunde gehen - Kismet! Und selber schuld, schließlich hatte der damalige Präsident Wildmoser dem Klub die unselige Liaison eingebrockt, mit dem Segen des Aufsichtsrats, in dem auch Ude saß.

Als Franz Beckenbauer seinerzeit das Olympia-Stadion zum Teufel wünschte, war die Stadt drauf und dran, die grandiose Architektur zu opfern, um sich nur nicht den Zorn des sogenannten Kaisers zuzuziehen. Für die Blauen aber muss es reichen, wenn man sie mit warmen Worten abspeist. Selbstverständlich geschieht das zu ihrem Besten, denn der Verein geriete ja in eine Identitätskrise, würde er plötzlich aus allem Schlamassel heraus sein.

Das wäre nun in der Tat fatal, deshalb gilt: Wer die Löwen wirklich liebt, schaut vom Polstersessel aus genüsslich zu, wie sie langsam ausbluten. Sobald sie ausgelitten haben, wird man einen Club-Wimpel, Rudi Brunnenmeiers Maßkrug, Schmiergeldquittungen sowie die ehrwürdige Anzeigetafel des Grünwalder Stadions ins Stadtmuseum hängen, in Nachbarschaft von Ritterrüstungen, Moriskentänzern und anderen Relikten der örtlichen Kulturgeschichte - in Erinnerung an einen Arbeiterverein, der Münchens große Liebe war.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: