Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Wenn die Gondeln Trachten tragen

Ein fröhliches Salvator-Völkchen ist nachts in Giesing unterwegs auf der Suche nach Spaß. Ideal wäre eine Fahrt im neuen Riesenrad im Werksviertel - wenn es doch nur schon in Betrieb wäre

Kolumne von Christian Mayer

Wer in diesen Tagen mit dem Fahrrad durch Giesing fährt, sollte besser aufpassen, denn es sind jede Menge Menschen auf den Straßen unterwegs, die sich seltsam eckig und retardiert bewegen. Einige scheinen den Gleichgewichtssinn wie nach einer längeren Raumfahrt verloren zu haben, anderen hängt der Träger der Lederhose auf Halbmast, während manche mit glasigem Blick ihr Handy suchen, das sie auf dem Weg zur nächsten Trambahnhaltestelle verloren haben. Es ist ein fröhliches, unbändiges, vogelwildes Völkchen, das zu vielem bereit, aber nicht mehr zu allem fähig ist. Und meist wird man, wenn man nicht schnell genug ausweicht, mit der etwas unartikulierten Frage konfrontiert: "Woisnhiernowoslos?"

Zu schade, dass das neue Superriesenrad am Ostbahnhof erst Mitte April aufmacht, das wäre jetzt genau das Richtige für die Dirndl- und Lederhosenträger: In den rotierenden Gondeln wären sie bequem und sicher verstaut. Das "Hi-Sky" verspricht nämlich ein himmlisches Erlebnis in achtzig Metern Höhe, 365 Tage im Jahr, bis in die späten Abendstunden - wie geschaffen für entgleiste Salvatorfreunde, die man auf diese Weise ins Werksviertel umleiten könnte, wo sie nach der halbstündigen Riesenrauschfahrt sofort in der S-Bahn wegdämmern könnten.

Im Grunde eine gewinnbringende Situation für alle Beteiligten: Die vom Nockherberg genervten Giesinger könnten wieder in Ruhe die Straße überqueren und ihre Stammkneipen besuchen. Und die Starkbierhelden könnten sich, weil sich ohnehin alles dreht, beinahe so fühlen wie auf der richtigen Wiesn.

"Woisnhiernowoslos?" Diese Frage wird man künftig wohl nicht mehr hören, wenn die für ihren Geschäftssinn berühmten Nockherberg-Wirte eine Kooperation mit der Betreibergesellschaft des Riesenrads abschließen. Dazu sollte man gleich ein Hi-Sky-Weiß-Blau-Salvator-Gesamtpaket schnüren, bei dem auch das vorgesehene Weißwurst-Frühstück in den klimatisierten Kabinen inbegriffen ist, das man für einen bescheidenen Aufpreis dann per App bestellen kann, passend zur Katerrundfahrt. Geht aber nur, wenn man das Smartphone nicht zuvor im Bierkrug versenkt hat.

Zum Schluss braucht man nur noch eine eigene Seilbahn, damit die Raumfahrer vom Nockherberg direkt ins Werksviertel kommen. Aber auch das sollte doch kein Problem sein, in einer aufstrebenden Stadt wie München.

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Quelle:
SZ vom 30.03.2019
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