Schrebergarten:Applaus für den Gartenzwerg

Schrebergarten: Der Schrebergartenmarkt ist genauso abgegrast wie der Wohnungsmarkt.

Der Schrebergartenmarkt ist genauso abgegrast wie der Wohnungsmarkt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Früher als Inbegriff der Spießigkeit angesehen, hat nun jeder Bekannte einen Schrebergarten. Ist es jetzt zu spät, auf den Zug aufzuspringen?

Kolumne von Wolfgang Görl

Zu den bittersten Erfahrungen des Lebens zählt der Moment, in dem der Mensch erkennt, dass er einen Trend verpasst hat. So hat erst neulich ein Mann in einem Akt grenzenloser Verzweiflung knapp 28 Sekunden lang die Luft angehalten, weil er nach dem Kauf einer coolen, hautengen Jeans lesen musste, dass man jetzt wieder "extraweite Baggy-Pants mit neunzigertypischer Hammerschlaufe" trägt. Grauenhaft, so ein Missgeschick, das geeignet ist, labile Männer in den Alkohol oder eine überstürzte Ehe zu treiben.

Ähnlich heftig traf unsereins der Schock, als beim Stammtisch mit ehemaligen Isar-Anarchisten herauskam, dass jeder dieser sogenannten Freunde seit wenigstens zehn Jahren einen Schrebergarten hat. Wie? Diese mittlerweile etwas betagten Jungs, für die der Schrebergarten einst der Gipfel der Spießigkeit war, kümmern sich nun um den Winterschnitt von Kletterrosen und züchten Würmer für den Komposthaufen! Nach neun Halben und drei Schnäpsen gestand einer den Besitz eines Gartenzwergs namens Klausi. Spontaner Applaus brandete auf.

Natürlich ist es jetzt zu spät, auf den Zug, der ins Kleingärtnerparadies führt, noch aufzuspringen. Der Schrebergartenmarkt ist genauso abgegrast wie der Wohnungsmarkt. Wer sich heute in eine Warteliste einträgt, kommt, wenn alles gut geht, zur nächsten Jahrhundertwende an die Reihe. Um die Zeit bis dahin zu nutzen, kann man schon mal die notwendigsten Utensilien kaufen, also Benzinrasenmäher, Vertikutierer, Laubbläser, elektrische Heckenschere, Hochdruckreiniger, Häcksler, Kettensäge, Holzspalter, Schneefräse sowie chemische Kampfstoffe gegen Ungeziefer - und nicht zu vergessen: die bayerische Fahne mit König-Ludwig-Bild. Auch eine Rechtsschutzversicherung ist hilfreich, um Klagen seitens der Nachbarn wegen Lärmbelästigung oder fahrlässiger Brandstiftung durch den Holzkohlegrill bereits im Keim zu ersticken.

Einer der ehemaligen Isar-Anarchisten, ein militanter Pazifist, setzt im Nachbarschaftsstreit auf ein Rudel abgerichteter Wühlmäuse, die den feindlichen Garten untergraben und bereits ein Hochbeet zum Einsturz gebracht haben. Überhaupt loben die Freunde das entspannte Leben in der Kolonie und besonders den selbstgezüchteten Salat, der in einem Beet aus Schneckenkorn und Hühnermist vortrefflich gedeiht.

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