Null Acht Neun:Nichts zu bereuen

Mit Männern in der zweiten Lebenshälfte muss man pfleglich umgehen. Ganz besonders, wenn sie mal zum Arzt müssen

Kolumne von Christian Mayer

Es gibt untrügliche Zeichen, dass man als Mann die zweite Lebenshälfte erreicht hat. Bei Partys an der Isar zum Beispiel braucht man auf einmal einen Klappstuhl, wo man es sich noch in den Vorjahren auf den Kieselsteinen bequem gemacht hat. Man hält beim Fahrradfahren bei Rot an der Ampel an, obwohl kein Autofahrer weit und breit zu sehen ist, früher ist man lässig durchgerauscht, aber man ist ja jetzt so vernünftig angesichts der eigenen Restlaufzeit. Und bei Gesprächen mit Freunden geht es nicht mehr um alkoholvernebelte Erlebnisse in lauten Gärtnerplatz-Bars, sondern um die nüchterne Frage, ob man schon bei der Darmspiegelung war.

Also findet man sich am Dienstagvormittag in der Ledererstraße ein, Schauplatz vieler langer Nächte, die man hier in Clubs und Bars verbracht hat. In der Ledererstraße stinkt es gerade gewaltig, was wohl mit dem Lkw zu tun, der zwischen Hofbräuhaus und Stadtsparkasse die Fettabscheider auspumpt und die Eingeweide der Restaurants entleert - das gibt einem, proktologisch betrachtet, schon mal ein richtig gutes Gefühl.

In der Praxis des Professors begegnet man dann lauter sehr freundlichen Menschen; eine schwäbisch sprechende Anästhesistin nimmt einen liebevoll in Empfang. Man sollte keinesfalls verschweigen, wie wichtig das für die Männer in der zweiten Lebenshälfte ist: Dass man pfleglich mit ihnen umgeht, denn leichte Schäden haben sie ja schon. Die schwäbisch sprechende Anästhesistin ist in dieser Hinsicht vorbildlich, sie hatte schon am Sonntag auf dem Handy angerufen und einen wertvollen Tipp für die Untersuchung gegeben: "Ziehen Sie dicke Socken an, Sie werden es nicht bereuen!"

Im rückseitig offenen Patientenrock streckt man sich auf der Arztliege aus, blickt seitlich auf die Wand und versucht ganz ruhig zu atmen, während durch das Fenster infernalische Gerüche hereinwehen. Ach, die Ledererstraße - jetzt hätte man gerne einen Drink in der Bar Centrale. Aber dann geht's auch schon los, der Professor erscheint, die Anästhesistin waltet ihres Amtes, das Propofol strömt in den Körper ..

. Das Erwachen ist herrlich, man fühlt sich leicht, heiter und etwas benommen, wie auf einer Champagnerwolke. Alles okay da drinnen, versichert der Professor und ist schon wieder weg. Wundersamerweise sind auch die Gerüche aus der Ledererstraße verschwunden, genauso wie die riesigen Saugrohre und der Lkw.

War das alles ein Traum? Aber nein, man hat ja noch die dicken Socken an.

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