Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Im Paradies der Eitelkeiten

In Hamburg lassen sich nur ganz wenige Männer chirurgisch aufhübschen, wohingegen es für den Weltmann aus München Ehrensache ist, seinen Körper mithilfe eines Skalpellkünstlers umzuformen. Woran das wohl liegen mag?

Kolumne von Wolfgang Görl

Zu den Gewinnern der Corona-Pandemie gehören neben Maskenherstellern, Dönerbuden und Karl Lauterbach auch die Schönheitschirurgen. Dabei hatte man erwartet, diesen Nasenschnitzern ginge es ähnlich mies wie anderen Künstlern, weil die Menschen dächten: Wozu soll ich mich unters Messer legen, wenn Sorgenfalten und Hängebacken ohnehin unter der Maske verschwinden, und das auch noch kostengünstig? Doch nein, so denken die Leute nicht.

Jüngst hat der Schönheitschirurg Werner Mang, ohne den keine Münchner Society-Lady in Würde altern könnte, in einem Interview gesagt, gerade jetzt stünden die Menschen Schlange, um Schlupflider, Tränensäcke und/oder Doppelkinne loszuwerden. Schuld daran sind die Videokonferenzen, bei denen man nicht nur die Triefgesichter der anderen sieht, sondern auch das eigene, schrecklich entstellt von der Kamera, sodass man so alt aussieht, wie man ist. Mittlerweile graust es vielen Menschen so heftig vor ihrem Abbild, dass sie bei Online-Meetings ihren Hund vor den Laptop setzen und sie selbst aus dem Off sprechen. Bei manchen Vorstandskonferenzen sieht man nur noch Hunde auf dem Monitor.

Noch eines hat Mang verraten, und das ist wirklich verstörend. Es gibt ein Süd-Nord-Gefälle in puncto Eitelkeit. So lassen sich in Hamburg nur ganz wenige Männer chirurgisch aufhübschen, wohingegen es für den Weltmann aus München Ehrensache ist, seinen Körper mithilfe eines Skalpellkünstlers so lange umzuformen, bis er wie Michelangelos David oder Michael Jackson aussieht. Warum ist das so? Wer jetzt sagt, die Hamburger seien von Natur aus schön, die Münchner aber müsse man erst zurechtschnippeln, soll sein Leben lang nur noch Labskaus essen. Nein, nein, der Sinn für das Schöne war immer schon im Süden zu Hause. Während die Künstler im Norden vor allem fiese Kaufleute und sinkende Schiffe malten, porträtierte man im Süden schöne Frauen und fesche Götter. Deshalb ist es auch purer Unfug, dass die Elbphilharmonie in Hamburg steht. So ein fabelhaftes Gebäude gehört nach München, während der Schneewittchensarg, den die Münchner als Konzerthaus bekommen, viel besser in den Norden passt.

Wenigstens leben in München die schöneren Menschen, modelliert von Meisterhand aus Botox und Silikon. Angeblich ist dieser Hang zur Schönheit typisch für katholische Länder, wo man die große Inszenierung liebt und opulent dekorierte Barockkirchen schwelgerisch das Leben feiern, wohingegen die Bewohner protestantischer Gegenden verbissen und mit hängenden Mundwinkeln ihrer Pflicht nachgehen, und das sinnlich Schöne als Teufelswerk gilt. Und weil Bayern, also das richtige, das frankenlose Bayern, die Vorstufe zum Paradies, wenn nicht das Paradies selbst ist, möchte der darin lebende Mensch selbstverständlich gut aussehen, so makellos wie die Engel selbst.

Die Münchner sind da besonders ehrgeizig, getreu der Devise: Schönheit ist Gotteslob. Nicht weil sie eitel sind, lassen sie die Nase, die Lippen oder den Hintern renovieren. Sie tun es ihrem Schöpfer zuliebe - dem Herrn, der immer hilft, wenn der Körper Falten wirft.

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SZ vom 05.12.2020
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