Null Acht Neun:Ergüsse und Erlasse

Wie systemrelevant die Ideen von Kreativen sein können, merkt nun jeder, der abends nur noch vor Netflix sitzt. Doch nicht immer entsprechen sie auch den Regeln

Kolumne von Laura Kaufmann

In jeder Krise liegt auch eine Chance, sagt der Volksmund, und während die einen darunter erzwungene Entschleunigung und Familienzeit verstehen, sehen die anderen ihre Existenz den Bach hinuntergehen und finden solche Weisheiten zynisch. Objektiv lässt sich festhalten, dass die Krise die Kreativität befördert. Da gibt es den Sportschuhverkäufer, der seine Ware vom Balkon abseilt, die Kneipe, die ihren Weinkeller aus dem Fenster abverkauft, und kurz gab es die charmante Idee eines italienischen Bistros im Viehhof: "Dinner in the Car". Die Gäste sollten auf dem Parkplatz bewirtet werden und ihr Take-away im Auto verzehren. Ähnlich wie man das aus Fast-Food-Drive-Ins zu Teenager-Zeiten kennt, nur eben mit Drei-Gänge-Menü im LED-Kerzenschein.

Wie großartig das nun ist, sein Tablett mit Gamba-Pasta auf den Knien zu balancieren, sei dahingestellt - das findige Angebot war jedenfalls im Nu ausreserviert. Zwei Tage lang lief das kleine Vergnügen, berichtete die Abendzeitung. Dann beendete es das Kreisverwaltungsreferat mit der Begründung, der Verzehr gekaufter Speisen und Getränke an Ort und Stelle sei nicht erlaubt.

Anders verhält es sich natürlich, findet der Verzehr auf dem Weg zur Wohnung statt. Folglich ist es in Ordnung, auf dem Rückweg von der Bäckerei in die Breze zu beißen, aber nur, solange man dabei nicht stehen bleibt. Ein typisches Problem der Corona-Regeln, die, mit vollstem Verständnis für ihre Existenz, schnell aus dem Boden gestampft wurden und nicht immer durch Logik glänzen. Daher wäre eine etwas kreativere Auslegung der Regeln bei wenig gesundheitsbedrohlichen Aktivitäten wie Essen im Auto schön, wie es schon mit dem Lesen auf der Parkbank geklappt hat. Findige Menschen bringen Abwechslung in den Alltag, der nun bei vielen ohnehin gleichförmig dahinfließt. Wie systemrelevant die Ergüsse von Kreativen sein können, merkt jeder, der abends statt Fremdsprachen zu lernen doch wieder nur vor Netflix sitzt. Kreativität beweisen könnten auch Gesetzgeber und zum Beispiel gebeutelten Betrieben und Kreativen Mietminderungen zugestehen. Vielleicht dreht sich der nächste Regelerlass aber auch um den korrekten Mindestabstand beim Schlafen auf Parkbänken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: