Null Acht Neun:Endlich optimiert

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Nur wer aktiv in die Krise hinein geht, kommt hinten als besserer Mensch raus. Und das ist ja wohl das Mindeste, was man von den Münchnerinnen und Münchnern erwarten kann

Kolumne von Christiane Lutz

Viele Menschen sind überfordert mit der Zeit, die sie durchs Zwangszuhausebleiben jetzt plötzlich übrig haben. Das muss nicht sein. In dem hübschen Song "Letzter Tag" denkt der Musiker Rainald Grebe über einen idealen letzten Tag nach. Was tun? Party machen? einen Hit für die Ewigkeit schreiben? Berlin in Flammen legen? "Ich kauf ein Haus in Mecklenburg!" überlegt er, dann: "Ich will Kinder haben, ne, der Zug ist durch, Ich muss Kinder machen! Apfelbaum pflanzen! irgendeinen Baum, Eiche! Pappel wächst schneller!"

Der Münchner kann sich nun von diesem Brutalo-Aktionismus inspirieren lassen, auch wenn "Party machen" in Zeiten von Social Distancing eher nicht zu empfehlen ist. Die freie Zeit aber sollte er schon mit der großartigsten Version seiner selbst füllen. Nix da Füße hoch und die Wand anstarren. Jetzt wird endlich mal ausgiebig optimiert. Eingeweckt und ausgemistet, meditiert und musiziert, Veganismus ausprobiert und mindestens ein Youtube-Hit gelandet. Entrümpelt, entschlackt, entschleunigt. Gehäkelt, gebastelt, gesaugt, die Fugen im Bad mit der Zahnbürste gereinigt. Der Oma einen Brief in Kalligrafie schreiben und endlich den Roman anfangen, den man praktisch schon fertig im Kopf hat. Tätowieren lernen im Fernkurs. Haare aller Familienmitglieder schneiden. Einen Urban Jungle in der Wohnung einrichten. Und irgendwo im Schrank liegen doch noch Laufschuhe, in denen sollte man jetzt mit tausend anderen Amateur-Joggern gewinnbringend an der Isar entlangkeuchen.

Ach ja, lesen ist auch eine Option. "Krieg und Frieden" dürfte doch bis Mai zu schaffen sein, im Original, so als kleine Challenge. Viele Buchhändler bieten inzwischen an, Lektüre nach Hause zu bringen. Absolut unterstützenswert und gut fürs Gewissen. Die Buchhandlung am Nordbad allerdings verabschiedet sich erst mal, erdrückt von der Liebe ihrer bildungswilligen Kunden: "Der Lieferservice der letzten 10 Tage hat uns etwas an den Rand unserer Kräfte gebracht", heißt es erschöpft auf der Webseite, man müsse auftanken. Hoffentlich werden die bald wieder fit. Denn nur wer aktiv in die Krise hinein geht, kommt hinten als besserer Mensch raus, und das ist ja wohl das Mindeste, was man von den Münchnerinnen und Münchnern erwarten kann.

Sicher gäbe es auch die Möglichkeit, es Rainald Grebe gleich zu tun. Der einigt sich schließlich mit sich auf: "Ich mach nix, gar nix. Ich warte einfach ab. Ich setz mich auf die Bank in den Sonnenuntergang. Dann schau ich in den Himmel." Klingt gut? Nee, lieber noch mal zweihundert Liegestützen machen.

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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