Null Acht Neun:Ein Fall für Netflix

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"House of Kunst", "Keinohr-Uli", "Horror auf zwei Rädern" - nicht nur zur Oktoberfestzeit bietet München viel Filmreifes

Kolumne von Christiane Lutz

Es findet sich in München immer jemand, der kulturpessimistisch jammert. Vielleicht besonders hier. Denn wo besonders viel schön gefunden wird, gibt es ja auch viel, was potenziell verschwinden könnte. Die Leute gehen nicht mehr ins Wirtshaus zum Reden, und wenn sie ins Wirtshaus gehen, dann schauen sie nur auf ihr Handy, klagte neulich ein gar nicht so altes Paar in einem Wirtshaus. Alle fahren mit den dummen E-Scootern herum, wobei man sich nicht einig ist, welcher kulturelle Verfall genau sich darin spiegelt. Das Ende des Fußgängers? Das Ende des normalen Rollers? Auf jeden Fall hat man das früher nicht gemacht! Anstrengend wir es, wenn der Kulturbegriff in den kommenden zwei Wochen wieder eine eigenwillige Ausdehnung erfährt. Kultur findet während der Wiesn bekanntlich irgendwo zwischen Ochsensemmel und Kotzehäufchen statt, zwischen "Hodi odi ohh" und Bierrülpsern. Das finden viele Münchner unterkomplex.

Auch das Residenztheater hätte Grund, kulturpessimistische Tränen zu weinen. Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass die geplante Eröffnungspremiere abgesagt werden muss, weil Regisseur Simon Stone lieber einen Film mit Netflix dreht. Jenem gigantomanischen Streamingdienst, wegen dem reihenweise Kinos schließen, weil die Leute lieber zuhause in der Horizontalen dauerschauen, statt sich der Mühsal eines Kinobesuchs auszuliefern. Für das Resi ist das doppelt bitter, weil es auch die Premiere des neuen Intendanten Andreas Beck gewesen wäre. Das Haus aber gibt sich geknickt-loyal. Richtig so.

Statt Herrn Stone jetzt Karrierismus vorzuwerfen, sollte sich die Stadt einfach besser mit den mächtigen Kultur-Playern verbünden. Der OB müsste mal ein paar München-Ideen bei Netflix pitchen. Ein paar Vorschläge: Eine Horror-Serie über Radfahren in München wäre sicher in zweihundert Folgen zu realisieren. "House of Kunst" könnte ein packender Dreiteiler sein, in dem ein furchtloser Museumswärter Intrigen und Verworrenheiten am Haus der Kunst aufdröselt, inklusive Gastauftritt von Ai Weiwei. Mit ein bisschen Geschick ließe sich sicher auch das Rumgepöbele beim FC Bayern in einer Komödie à la "Keinohr-Uli" oder "Der Handschuu des Manuu" verfilmen. Ein paar E-Scooter könnten ja auch durchs Bild rollen. Dass das keine Kultur ist, das muss dann erst mal jemand beweisen.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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