Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Drolliger Tempowechsel

In der Fraunhoferstraße bleibt es spannend: Künftig werden Autofahrer dort gebremst - allerdings nur ein bisschen, damit der neue Fahrradweg nicht in Gefahr gerät

Kolumne von Andreas Schubert

Man kann es nicht oft genug sagen: Das Übel namens Corona hat die Münchner auf gute Ideen gebracht. Auf ehemaligen Parkplätzen, wo sonst dicke Spritschlucker an Bewegungsmangel verrosteten, schlucken jetzt mobile Menschen allerhand anderes Zeug in sich hinein. Unter denen, die Schampus trinken, ist sicher auch manch schlauer Kopf, der mit Europaletten ein Vermögen gemacht hat, dem Schanigarten-Baustoff Nummer eins. Da konnte man nichts verkehrt machen - weshalb so eine Palette dieser Tage sicher einen besseren Ruf als Anlageobjekt hat als zum Beispiel Schweinehälften aus NRW.

Das Trinken auf Ex-Parkplätzen soll ja künftig in München sogar zur Gewohnheit werden, nur die Wirte an der Fraunhoferstraße haben da mangels Parkplätzen vor der Haustür leider Pech gehabt. Dafür gibt es da seit nun einem Jahr rote Fahrradstreifen, die der grün-roten Rathauskoalition ziemlich gut gefallen. Da könnte man als Gastronom schon grün vor Neid werden, wenn einen Steinwurf entfernt fröhlich - und umsatzträchtig - geschanigartelt wird. Den hübschen Fahrradweg wollen sie im Rathaus keineswegs mit aus Europaletten gezimmerten Terrassen zustellen. Und überhaupt geht das mit den zusätzlichen Freischankflächen nur in Straßen, in denen maximal Tempo 30 erlaubt ist. Nun teilte die Stadt der CSU mit, die bekanntermaßen bei den roten Radlstreifen, naja, Rot sieht, dass sich in der Fraunhoferstraße leider auch kein Tempo 30 einführen lasse. Dazu brauche es einen triftigen Grund - und der sei an Ort und Stelle nicht gegeben. Weil in besagter Straße aber die Luft relativ dreckig ist, will sie nun trotzdem das Tempo herunterschrauben. Allerdings nicht auf 30, sondern, Wirte aufgepasst, auf 40. Das sind zehn Stundenkilometer weniger als auf der sogar noch dreckigeren Landshuter Allee und zehn mehr als in den meisten anderen Straßen im Umfeld der Fraunhoferstraße. Erst in einem Jahr soll dort dann auch Tempo 30 ausprobiert werden.

Wenn man's nicht besser wüsste, könnte man hier der Stadtverwaltung durchaus eine spezielle Art von Humor unterstellen. Man male sich einmal aus, wie sie auf der Dachterrasse des Kreisverwaltungsreferats auf ihren Coup anstoßen und sich vor Lachen kringeln, wenn sie sich das Fluchen der Wirte vorstellen. Für die ist die Sache mit den Schanigärten, die sie nicht bekommen, nur ein schlechter Witz. Gerüchten zufolge soll neuerdings jeder Hausverbot bekommen, der unbedacht ein Radler bestellt.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2020
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