Null Acht Neun:Die Falle von Unterdill

Wer noch nie auf Anweisung eines älteren Herrn mit einem echten Schießgewehr auf eine holzgetäfelte Wand gezielt hat, muss das ausprobieren, wenn er beim Thema Grenzerfahrungen mitreden will

Kolumne von Rudolf Neumaier

Er sagte Niedermeier. "So, Herr Niedermeier", hob der Prüfer an, "hier liegt die Waffe, jetzt laden Sie sie mal für einen Pirschgang". Eine gewöhnliche Aufgabe für eine Simulation, um zum Abschluss der Jägerprüfung den korrekten Umgang mit Waffen zu testen. Was für ein Beginn!

Man muss mit Vielem rechnen, wenn man Neumaier heißt. Zum Beispiel wird man als siebengescheiter Journalist gern mal als Schlaumaier verballhornt. Wobei Schlaumaierei als Berufskrankheit auftritt, und über Krankheiten sollte sich keiner lustig machen, sorry. Manche Leute schreiben Neumeier, andere Neumayr. Sind die Absender willkommen, korrigiert man sie diskret mit dem immer gleichen Witz, dass sie ja dankenswerterweise nicht Altmaier geschrieben haben oder gar Altmeier. Unerwünschte Post an einen Herrn Neumeier hingegen landet im Papierkorb oder wird mit dem Stempel "Adressat unbekannt" zurückgeschickt.

Wenn nun aber ein vom Landwirtschaftsministerium bestellter Jägerprüfer mit einer so gewaltigen Pointe wie "So, Herr Niedermeier" aufwartet, wird's heikel. Das killt alle Vorsätze, die Waffenprüfung mit Clint-Eastwood-Geschau und Hubert-Aiwanger-Idiom zu bewältigen, um ein wenig Souveränität zu demonstrieren. Niedermeier? Das entwaffnet. Jeder Neumaier, der in einer solchen Lage nicht lieber einfach Bauer hieße oder Kaniber oder gleich Söder, ist ein Lügenhuber.

Die Luft im Prüfungskammerl vom "Niedermeier"-Prüfer in der Schießstätte Underdill draußen an der Forstenrieder Allee war zum Schneiden dick. Kein Wunder, hier waren gerade fünf Kandidaten durchgefallen - wie er sie wohl angesprochen hatte? Dann kam die Instruktion, das Gewehr zu laden. Allerdings hatte die Zentrale Jägerprüfungsbehörde zuvor die Spielregeln geändert und das für sich behalten. Sie hatte einen Dummy für ein sogenanntes Flintenlaufgeschoss gebastelt und ihn heimlich unter die herkömmlichen Prüfungsspielsachen drapiert. Nun sind Dummys der gängigen Definition zufolge Attrappen, die wiederum seit jeher Lug und Trug Vorschub leisten. Meyers Großes Konversations-Lexikon aus dem Jahr 1905 beschreibt die Attrappe als "Falle, Schlinge, Fallstrick, trügerischer Schein; ein auf Täuschung, Neckerei berechnetes Spielzeug".

So war's dann auch: ein rechtes Neckwerkzeug. Der Prüfling Niedermeier stutzte verwirrt, als die Simulation begann. Der imaginierte Pirschgang mündete auf einer Waldwiese. Wer noch nie auf Anweisung eines älteren Herrn mit einem echten Schießgewehr auf eine holzgetäfelte Wand gezielt hat, die einen 30 Meter entfernten Eichelhäher auf einem Baum darstellen sollte, muss das ausprobieren, wenn er beim Thema Grenzerfahrungen mitreden will. Das angebliche Flintenlaufgeschoss entpuppte sich als Fintenlaufgeschoss. Das gefiel dem Prüfer. "Herr Niedermeier", sagte er feierlich, "legen Sie die Waffe ab, Sie sind durchgefallen." Sämtliche Versuche, die Finte annullieren zu lassen und die Prüfung unter anderer Identität, als Herr Neumaier, zu wiederholen, sind gescheitert.

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