Null Acht Neun:Der Depp und der Denker

Welchem Querdenker, der die Titulierung wirklich verdient hat, käme es schon in den Sinn, sich selbst als Querdenker zu bezeichnen?

Glosse von Rudolf Neumaier

Die Ahnenliste Münchner Querdenker steckt voller Helden und Halbhelden. Oft wurde ihnen das Attribut "Querdenker" posthum angeheftet oder aus Anlass eines Jubeltages oder einer Ehrung. Welchem Querdenker, der die Titulierung wirklich verdient hat, käme es schon in den Sinn, sich selbst als Querdenker zu bezeichnen? Karl Valentin zum Beispiel wäre es schon viel zu peinlich gewesen, überhaupt als Denker aufzutreten. Denn eine Person, die sich beim Blick in den Spiegel als Denker bewundert, muss übergeschnappt und somit eher ein Depp sein als ein Denker.

Valentin hat im SZ-Archiv die meisten Q-Einträge der Münchner Q-Geschichte, somit ist er wohl als Urmuster der lokalen Querdenkerei zu betrachten. Allein ein Zeitgenosse Valentins, ein Mundart-Poet aus der Starnberger Gegend, könnte dieses Patent anfechten, und das auch nur wegen seines wundersamen und sprechenden Namens. Er hieß Queri, Georg Queri. An Valentins Genialität kam Queri nicht heran, aber es reichte locker, um sich im Bratwurst-Glöckl am Dom mit pointierten Versen die Zeche zu erreimen oder notfalls im Kartenspiel zu erzocken - und um von der Nachwelt auf Q-Niveau gehoben zu werden.

Die Reihe prominenter und ehemaliger Münchner, deren Querdenkertum im Zeitungsarchiv historisch belegt ist, ist lang und von atemberaubender, ja geradezu querdenkerlicher Vielfalt. Den Unternehmer Claus Hipp zum Beispiel kürte der Donaukurier 2008 anlässlich seines 70. Geburtstages zum Q, er verkauft Babykost. In der FAZ wurde der Autoverleiher Erich Sixt zum Q, im Münchner Merkur der katholische Abtprimas Notker Wolf. Die Bayerische Staatszeitung beförderte den Museumsmanager Chris Dercon ebenso zum Q wie die Abendzeitung den 1860-Trainer Ewald Lienen und wie Uli Hoeneß auf allen Kanälen den Fußballtrainer Jürgen Klinsmann, der seinen Q-Status sogleich durch das Aufstellen von Buddha-Statuen auf dem Trainingsgelände rechtfertigte. Bei all diesen Geistesmenschen fällt kaum noch ins Gewicht, dass auch die Politiker Barbara Rütting und Alois Glück sowie Josef Bierbichler, Gerhard Polt und Herbert Achternbusch als Q Erwähnung fanden.

Um Querdenker zu werden, musste man irgendwo zwischen püriertem Buttergemüse mit Süßkartoffeln und Mercedes-Leihwagen oder zwischen Realsatire und Surrealismus originell sein. Allein Lienen und Klinsmann scheiterten allzu schnell, der eine, weil 1860 nur noch ein Abtprimas helfen kann, der andere, weil Buddha keine Tore schoss. Doch ihre Querdenker-Gloriole nimmt ihnen keiner mehr. Lieber ein gescheiterter Querdenker von früher als eine Nervensäge von heute.

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