Null Acht Neun:Besinnungslose Nachrichtenflut

627 WhatsApp-Botschaften und kein Scoop: Gerade an Feiertagen kann das Smartphone zu einem Folterinstrument werden

Kolumne von Rudolf Neumaier

Die für Erbauung, Erheiterung und Erhellung der Münchner Seele vorgesehene Kolumne NULLACHTNEUN muss ausnahmsweise ihren Zwecken entfremdet werden. Diesmal ist Ermahnung angesagt, und damit fügt sie sich ernsthaft zwischen der erzbischöflichen Weihnachtspredigt des Kardinal Marx und der landesväterlichen Neujahrsansprache aus der Staatskanzlei in den Reigen der zeitbedingten Appelle.

Diese Verlautbarung, gegeben in der Weihnachtsoktav zum Fest der Unschuldigen Kinder anno MMXIX, betrifft den zügellosen Gebrauch von Geräten, die für mündliche Telekommunikation stets wertvollste Dienste geleistet haben. Allerdings wird leider und gerade in diesen Tagen von ihrer Eigenschaft als Übermittlungsinstrument für schriftliche Botschaften immer häufiger Gebrauch gemacht. Versendet werden sinnlose Grüße, flaue Wünsche, leere Floskeln, was wiederum das Gewissen der Empfänger herausfordert, ebenfalls in dieser Richtung aktiv zu werden. Überzeugender wäre es jedoch, wenn alle Verfasser solcher Mitteilungen Rum-Stollen büken und sie ihren ach so lieben Adressaten schickten. Mit dem Postboten.

Zum Weihnachtsfest gingen auf dem Smartphone 627 WhatsApp-Nachrichten ein. Um es in Betrieb zu halten, musste ein Notstromaggregat herbeigeschafft werden. Die Hausstromleitung war überlastet. Weil jedes Mitglied der SZ-Redaktion alle Zuschriften, auch elektronische, auf ihren Enthüllungsgehalt hin zu prüfen hat, denn hinter jeder Grußbotschaft könnte sich eine neue Ibiza-Affäre verbergen, dauerte das Checken der Weihnachtsgrüße bis zum Andruck dieser Ausgabe. Wegen dieser Extrembelastung war es am Fest des Heiligen Stephan nicht möglich, Herrn Schinko aus der Nikolausstraße zu gratulieren. Es sei hier nachgeholt: Alles Gute zum Namenstag!

Das Auswerten der Nachrichten ergab unter journalistisch-investigativen Gesichtspunkten wenig. Mal beschränken sich solche Beiträge auf brauchbare Ratschläge wie "Sauf nicht so viel" und auf Adressen wie "Euch Süßen ein wundervolles Weihnachtfest" und "Geiles Xmas, alter Sack!", die mit stimmungsvollen, aber auch nahezu frivolen Fotos oder Zeichnungen illustriert sein konnten. Mal verfassen die Absender epische Gedichte oder schicken Videos von Hunden oder weihnachtlich geschmückten Säuglingen. Am besten hat es Erwin aus der Hochgernstraße gemeint. Er eröffnete die WhatsApp-Gruppe "Frohe Weihnachten", um etwa 180 Personen auf einmal ein frohes Fest zu wünschen. Jede von ihnen schrieb zurück. Erwin kennt interessante Leute - flugs hätte man als Junggeselle haufenweise Handynummern zum Anbandeln, inklusive Profilbild.

Ein Film mit betrunkenen Politikern aus Österreich war unter den 627 Grüßen nicht. Daher der dringende Aufruf an alle, die am Dienstag auf elektronischem Weg "Guten Rutsch" wünschen wollen: Schicken Sie lieber Stollen! Und wenn es WhatsApp-Nachrichten sein müssen, dann bitte nur solche mit Videos von Politikern, die unter Alkoholeinfluss Zukunftspläne schmieden. Es müssen nicht unbedingt Österreicher sein.

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