Null Acht Neun:Alles für die Tonne

Die vier Mülltonnen vor der Tür von Münchner Haushalten sind Metaphern für den unvermeidlichen Gang der Dinge, besonders jetzt, in den letzten Tagen des Jahres

Kolumne von Christian Mayer

Wie viele Münchner habe ich ein emotionales Verhältnis zu den drei Tonnen vor unserem Haus, eigentlich sind es sogar vier, eine blaue fürs Altpapier, eine bräunliche für den Biomüll und zwei schwarze für den traurigen Rest. Besonders jetzt, in den letzten Tagen des Jahres, sind die Tonnen für mich Metaphern für den unvermeidlichen Gang der Dinge, sie zeigen mir, wie flüchtig das Leben ist, zum Beispiel das Weihnachtsfest, das restemäßig schon fast wieder entsorgt ist, natürlich ordnungsgemäß getrennt nach den drei Kategorien der Vergänglichkeit.

Wie viele Männer leide ich aber auch unter dem Vorwurf, ich würde den Müll quasi nie oder zumindest viel zu wenig "raustragen", was natürlich Quatsch ist. Vor allem ist diese Bezeichnung angesichts der realen Platzverhältnisse total irreführend. In durchschnittlichen Haushalten in Harlaching wird der Müll nicht nur "rausgetragen" und dann schwungvoll versenkt; der Müll wird mit Brachialgewalt gequetscht und gestaucht, gepresst und gedrückt, bis die Tüte platzt, damit er endlich in die Tonne passt.

Dieses tägliche Ringen mit dem viel zu kleinen Kunststoffbehälter macht die Abfallentsorgung in München zu einer sportlichen Herausforderung. Man kann die Tonne drehen und wenden, wie man will, sie ist immer randvoll, was in Zeiten von Konsumverzicht und Mülltrennung recht erstaunlich ist. Sollten die Abfallmengen nicht eher schrumpfen? Das Gegenteil ist der Fall. Einer der Nachbarn hat immer gerade eine Jahresladung Gratisprospekte zu entsorgen oder einen kleingesäbelten Weihnachtsbaum oder auch nur die Windeln der vergangenen drei Tage, jedenfalls ächzen die vier Tonnen vor unserem Haus unter der Last des Wohlstands. Okay, vor allem ächzen die Bewohner, wenn sie wieder versuchen, den Tonnentango zu tanzen, eine Übung, bei der man dem eingefüllten Müll den richtigen Kick gibt, am besten mit beiden Füßen im Abfall stehend.

Beim Biomüll empfiehlt sich diese Methode eher weniger. Aber ich muss gestehen: Die bräunliche Tonne mag ich besonders gerne, und ich bin der Stadt München dankbar, dass sie nun schon seit dreißig Jahren ein Quell der Freude ist, ein Gefäß zur Beruhigung des Gewissens. Das "integrierte Konzept für die Entsorgung organischer Abfälle", das im Januar 1990 im städtischen Kommunalausschuss beschlossen wurde, ist bis heute ein grandioser Erfolg. Unsere Biotonne lebt! Sie nährt sich von Biosalaten und halb aufgegessenen Gurken, sie freut sich über verschimmelte Marmelade, über knoblauchhaltige Soßen und die Reste vom indischen Essen, das der Lieferdienst am Abend vorher gebracht hat; sie versammelt Brotreste, Ananasschalen und schmutzige Blätter aus dem Vorgarten. Ich mag die Ehrlichkeit der Tonne, vor allem das Farbkonzept, das mir gelegentlich ein dreckiges Lachen entlockt.

Im Sommer kriechen auch gerne die Nacktschnecken durch den halb verwesten Schleim in der Biotonne, das gibt mir ein Gefühl der Nachhaltigkeit, ein Naturgefühl. Aber den Nacktschnecken ist es jetzt, Ende Dezember, verständlicherweise zu kalt.

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