Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess in München:Mit Sicherheit ein Ärgernis

"Wenn einer eine Bombe legen will, lässt der sich vom Parkverbot nicht abhalten": Die Sicherungsvorkehrungen beim NSU-Prozess sind enorm - manch Anwohner ist bereits jetzt entnervt. Und eine Händlerin erinnert sich an einen skurrilen Unfall mit einem Gefangenentransport.

Von Sebastian Krass

Um kurz vor neun war die Gnadenfrist abgelaufen. Bis sechs Uhr am Freitag hätten die Besitzer ihre Fahrräder von dem Ständer an der Ecke Nymphenburger Straße/Sandstraße entfernen müssen, so stand es in Rot auf einem Aushang. Drei Stunden später rückte ein städtisches Schlossknackerkommando an und entfernte die Handvoll nun illegal abgestellter Fahrräder, natürlich unter den Augen eines Wachtmeisters von der Polizei.

Muss ja alles seine Ordnung haben. Umso mehr in diesen Tagen rund um das Strafjustizzentrum, wo am Montag vor dem Oberlandesgericht München zum zweiten Mal der NSU-Prozess beginnen soll. Der erste Starttermin am 17. April war ja geplatzt, weil das Bundesverfassungsgericht Korrekturen bei der die Platzvergabe für Journalisten angemahnt hatte. Vor allem ist dieser Prozess natürlich ein Ereignis von höchster nationaler und auch internationaler Bedeutung.

Aber er ist auch ein sehr lokales Ereignis, eines mit möglicherweise gravierenden Auswirkungen auf Menschen, die nichts mit dem NSU-Prozess selbst zu tun haben, die aber in unmittelbarer Umgebung des Gerichtsgebäudes leben, arbeiten oder einfach nur etwas zu erledigen haben. Siglinde Lösch ist so jemand.

Sie betreibt seit gut 20 Jahren in der Erzgießereistraße einen Getränkemarkt, in dem es auch Zeitschriften, Tabak und Kleinigkeiten zu essen gibt. Sie hat also schon einige Male erlebt, welche Umstände ein Prozess mit besonderer Sicherheitsstufe in der Nachbarschaft mit sich bringt. Und sie ist schnell auf 180, wenn sie an die kommenden Wochen, Monate und vielleicht sogar Jahre denkt. Schließlich ist es gut möglich, dass der Prozess mehr als 24 Monate dauert und damit länger als vergleichbare frühere Verfahren in München.

"Was uns bevorsteht, ist absolut geschäftsschädigend", sagt sie. Es will ihr zum Beispiel nicht in den Kopf, warum die Halteverbote an Verhandlungstagen von frühmorgens bis abends gelten. Schließlich würden die Angeklagten nur einmal morgens hin- und nach Verhandlungsschluss wieder weggebracht. So aber könnten ihre Kunden dreimal die Woche den ganzen Tag über nicht vor der Tür parken und Getränkekisten einladen.

"Die gehen dann woanders hin. Mir ist wurscht, ob die Zschäpe mit dem Flugzeug, zu Fuß oder mit dem Terroristenbus kommt. Die zahlt meine Existenz nicht", schimpft Lösch. "Und wenn einer eine Bombe legen will, lässt der sich vom Parkverbot nicht abhalten." Doch die Behörden halten die Parkverbote für nötig. Sicherheitsbelange gehen in diesem Fall vor Einzelinteressen.

"Ein paar Passanten sind gerade noch davongesprungen"

Lösch erinnert sich noch gut an den Terror-Prozess von 2005. Damals stand ein Mann vor Gericht, der die Terrorgruppe Ansar-al-Islam unterstützt haben soll, die Sicherheitsvorkehrungen waren ähnlich wie diesmal.

Wenn der Angeklagte von der Untersuchungshaft in Stadelheim zur Gerichtsverhandlung im Justizzentrum gebracht wurde, waren Straßen kurzzeitig gesperrt, schwer bewaffnete Sicherheitskräfte patroullierten in der Nachbarschaft, und schließlich kam ein Konvoi in hoher Geschwindigkeit die Nymphenburger Straße herauf, um in die Erzgießereistraße abzubiegen, in Richtung der Tiefgarageneinfahrt zum Gerichtsgebäude.

Einmal aber bekam der Fahrer des Gefangenentransports die Kurve nicht. Der Bus landete in der Hecke des Restaurants Nymphenburgerhof. Verletzt wurde niemand, aber der Schreck war groß. "Ein paar Passanten sind gerade noch davongesprungen", sagt Lösch, "zu der Zeit sind hier auch viele Schulkinder unterwegs."

Ein paar Häuser weiter führt Benjamin Grund ein Geschäft für Motorradhelme. Er ist erst seit etwa zwei Jahren hier, weiß also noch nicht genau, was ihn erwartet. Aber er fürchtet Schlimmstes. "Ich bin auf Kunden angewiesen, die hier ihr Motorrad abstellen können", sagt er. "Wenn das jetzt eineinhalb Jahre oder länger nicht geht, muss ich mir vielleicht einen anderen Laden suchen."

Doch nicht alle im Viertel sind in Alarmstimmung. Angela Klotz, die seit 24 Jahren ein Reisebüro in der Sandstraße betreibt, sagt: "Bestimmt gibt es mal Tage, an denen es hier abgeht, aber es war bisher noch nie so schlimm, dass es mir wirklich im Kopf geblieben wäre." Auch die meisten Anwohner scheinen die Umstände, die manche Prozesse mit sich bringen, gelassen hinzunehmen. Oskar Holl jedenfalls, der Vorsitzende des Bezirksausschusses Maxvorstadt, kann sich nicht erinnern, dass bei ihm schon einmal Beschwerden aus der Bevölkerung angekommen wären. "Wir legen Wert darauf, dass das Gericht seine Befugnisse nicht zu exzessiv ausnutzt und dass Parkverbote rechtzeitig bekannt gegeben werden", sagt Holl.

Immerhin hat das Kreisverwaltungsreferat als Entgegenkommen in der Erzgießerei- und der Kreittmayrstraße Zonen, wo man bisher Parkscheine lösen konnte, in reine Anwohnerparkgebiete umgewidmet. Dennoch, davon ist auszugehen, werden in nächster Zeit öfters auch Auto-Abschleppdienste in der Gegend aktiv werden.

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SZ vom 04.05.2013
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