Das NS-Dokumentationszentrum unweit des Königsplatzes hat sein Helfer-Team neuerdings um vier Mann erweitert: Künftig kann man sich auch von Hans Busch, Stephan Palta, Hans-Georg Benkmann und Markus Posset durch die Ausstellungen leiten lassen, und wenn einer dieser vier zum Beispiel ein Bild beschreibt, muss man die Augen nicht nur offen halten, um eben dieses Bild anzuschauen, sondern auch, um seine Erklärungen zu sehen. Lauschen kann man den Ausführungen von Hans Busch und seinen Kollegen nicht: Die vier Männer sind gehörlos, sie verständigen sich mit Gebärdensprache und kommunizieren so auch mit den Besuchern, die sie durchs NS-Dokumentationszentrum führen.
Der Gehörlosenverband München und Umgebung (GMU) ermöglicht kunst- und kulturinteressierten Mitgliedern seit einiger Zeit eine Ausbildung zum Museumsführer speziell für gehörlose Menschen. Das Quartett um Hans Busch fand diese Tätigkeit zwar prinzipiell spannend, ist aber eher geschichtsinteressiert. Und da waren die vier schon etwas älteren Männer beim NS-Dokumentationszentrum genau an der richtigen Adresse.
Denn das bietet selbst eine themenbezogene Ausbildung an zum Museum-Signer, wie der Fachbegriff für die Zeichensprachler lautet. Die Bezeichnung ist abgeleitet vom englischen Wort "sign" - Zeichen. "Wir sind dankbar, dass das Team des Dokumentationszentrums die Herausforderung angenommen und uns ausgebildet hat", übersetzt der Gebärdendolmetscher Christian Pflugfelder am Dienstag die Gesten und Zeichen von Hans Busch ins Akustische.
Bei der Jahrespressekonferenz des NS-Dokumentationszentrums symbolisierten die gehörlosen Männer eine gewisse Neuausrichtung der vor acht Jahren eingeweihten und seit fünf Jahren von Mirjam Zadoff geleiteten Einrichtung: Die Direktorin will ihr Haus noch weiter öffnen, für die Stadtgesellschaft, für Touristen, für bislang vernachlässigte Gruppierungen. Zu dieser Öffnung gehört für sie mehr als eine Barrierefreiheit, die sich auch im Abbau eines nicht zu unterschätzenden Hindernisses manifestiert: dem Eintritt ins Dokumentationszentrum. Der ist ja bereits seit einiger Zeit kostenlos, dank des von der Landeshauptstadt München zur Verfügung gestellten Jahresbudgets von 5,3 Millionen Euro.
"Wo können wir noch inklusiver sein?", fragte Mirjam Zadoff also am Dienstag. Dass diese Formulierung nicht nur rhetorisch gemeint ist, zeigt die bisherige Herangehensweise ihres Teams, wenn es um die Pflege der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus geht. "Wir haben verschiedene Opfergruppen in den Fokus gerückt, die bisher unterrepräsentiert waren", erklärt die stellvertretende Direktorin Anke Hoffsten. So sei beispielsweise aus dem Ansatz, schwule und lesbische Menschen in der NS-Zeit zu zeigen, die weit über München hinaus beachtete Ausstellung "To be seen - Queer Lives 1900-1950" über die ganze queere Szene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. "Auch Gehörlose haben eine Opfergeschichte im Nationalsozialismus", regte Hans Busch per Handzeichen an.
Der Max-Mannheimer-Platz, Vorplatz des NS-Dokuzentrums, soll künftig als Begegnungsstätte noch intensiver einbezogen werden.
(Foto: Stephan Rumpf)Mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern will Zadoff jedenfalls Erinnerungskultur nicht auf herkömmliche Weise pflegen: aus allwissender und alles erklärender Historiker-Sicht, aus Täter-Perspektive, einseitig vermittelt, von Sendern zu Empfängern. "Zur Inklusion", so Zadoff, "gehört auch Partizipation", der zweite Schwerpunkt der Neuausrichtung.
Zur Partizipation wiederum gehören neue Formate der Vermittlung, gerade für ein jüngeres Publikum. So ist im Dokumentationszentrum ein Computerspiel entwickelt worden, das auf den Erfahrungen des Niederländers Jan Baziun im Zwangsarbeiterlager Neuaubing beruht, eine "spielerische Herangehensweise", wie Zadoff findet. So kann man einem schwierigen Thema offensichtlich auch näherkommen; das Spiel sei schon 30 000 Mal heruntergeladen worden, stellte sie fest.
Auch mithilfe von Tanz, Theater und Film will man junge Menschen für die Erinnerung an die NS-Zeit interessieren. So ist gerade ein Projekt in Vorbereitung, bei dem Münchner Schüler gemeinsam mit Altersgenossen aus der litauischen Stadt Kaunas eine Performance gestalten sollen. "Es steht nichts vorher fest, die Schüler können eigene Wünsche und Zugänge einbringen", sagt der Projektleiter Thomas Rink: "Die Performance wird gemeinsam erarbeitet."
"Wir haben in den vergangenen Jahren einige Testballons gestartet"
Sich zu öffnen, bedeute auch, offen zu sein für neue Ideen, für neue Erzählformen, neue Zugänge über unterschiedliche Medien, referieren die Direktorinnen Zadoff und Hoffsten am Dienstag. Da das Dokumentationszentrum weder eine klassische Gedenkstätte sei, noch ein klassisches Museum, habe man viele Möglichkeiten, um zu experimentieren. "Wir haben in den vergangenen Jahren einige Testballons gestartet", sagt die Kunsthistorikerin Anke Hoffsten, die seit Beginn des Zentrums dabei ist: "Wir wussten am Anfang nicht, wie es sich entwickelt. Und wir wissen auch heute nicht, wohin es in Zukunft gehen wird."
Wie auch immer man die Erinnerungsarbeit gestalte - leiten lassen müsse man sich stets von einer Frage, findet Mirjam Zadoff: "Was ist die Relevanz unserer Themen für die Gegenwart?" Dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus nur Relikte aus vergangenen NS-Zeiten sind, widerlegen genug Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, vom NSU über den OEZ-Anschlag bis hin zu den Morden von Hanau. "Die Gegenwart", sagt die Historikerin Zadoff, "holt uns immer wieder ein."