Installation „AugenBlicke“ im NS-Dokuzentrum:Der Shoah ein Gesicht geben

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Die Fotografien der Installation stammen von sogenannten Kennkarten. Nur wenige der Kinder und Jugendlichen überlebten die NS-Diktatur. (Foto: Orla Connolly/NS-Dokumentationszentrum)

Die Installation „AugenBlicke“ im NS-Dokuzentrum zeigt Porträtaufnahmen jüdischer Kinder aus München, die vom NS-Regime verfolgt wurden. Zeitzeugen mahnen: Das ist nicht nur museale Vergangenheit.

Von Benedikt Karl

Sie alle blicken zur Seite. Die meisten schauen ernst, wie man es auf Behördenfotos nun einmal tut. Aber es gibt auch Kinder, die fröhlich an der Kamera vorbei lächeln. Über ihren Köpfen prangen Teile eines Stempels: Es ist der Reichsadler mit Hakenkreuz. Denn die Kinder eint eines: Sie stammen aus jüdischen Familien in München. Als solche waren sie der Verfolgung der Nationalsozialisten ausgesetzt. Der Künstler Georg Soanca-Pollak hat die Schwarz-Weiß-Porträts zusammengetragen. Sie sind nun in der Installation „AugenBlicke“ im NS-Dokuzentrum zu sehen.

Seit vielen Jahren schafft Soanca-Pollak mit Lichtinstallationen Orte der Erinnerung an die Shoah, der auch seine Vorfahren ausgesetzt waren. Der „Gang der Erinnerung“, der das Gemeindehaus des Jüdischen Zentrums mit der Synagoge verbindet, stammt von ihm. Bei der Eröffnung am Mittwoch würdigten die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, Mirjam Zadoff, und der designierte Kulturreferent Münchens, Florian Roth, das Werk Soanca-Pollaks, das den jungen Opfern ein Gesicht gebe und sie aus der Anonymität hole. Antisemitische Gewalt sei „keine reine Geschichte, sondern bittere Gegenwart“, betonte Roth und erinnerte an den Anschlag auf das Dokumentationszentrum Anfang September.

Die Fotografien der Installation stammen von sogenannten Kennkarten. Diese mussten Juden von 1938 an bei Behördengängen mit sich führen. Im Münchner Stadtarchiv liegen Tausende Duplikate dieser Karten. Eine Auswahl der Porträtaufnahmen hängt nun im Foyer des Dokuzentrums, die Namen der Porträtierten werden an eine Wand projiziert. Die meisten der gezeigten Kinder und Jugendlichen haben die Verfolgung durch das NS-Regime nicht überlebt. Besucher können den jungen Opfern der Shoah in die Augen schauen, mit ihnen in einen stillen Dialog treten und sich fragen: Wer waren diese Kinder? Wie hätte ihr Leben wohl ausgesehen, wenn sie frei hätten leben dürfen?

Am 10. November um 15 Uhr gibt es einen Rundgang mit dem Künstler Georg Soanca-Pollak. Und am 24. November führt dieser gemeinsam mit Ernst Grube durch die Installation. Grube hat die Verfolgung in München miterlebt und ist selbst KZ-Überlebender. Eine weitere Zeitzeugin betonte die aktuelle Relevanz der Installation: „Niemand, in dem ein lebendes Herz schlägt, bleibt unberührt“, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, mit Blick auf die jungen Gesichter, die auf den Bildern in eine dunkle Zukunft schauen. Die Holocaust-Überlebende ergänzte: „Es hätte nicht viel gefehlt und mein eigenes Gesicht hätte sich hier eingereiht.“

Judenhass werde hierzulande weitgehend schulterzuckend zur Kenntnis genommen, moniert Charlotte Knobloch. (Foto: Orla Connolly/NS-Dokumentationszentrum)

Knobloch monierte, dass Judenhass hierzulande weitgehend schulterzuckend zur Kenntnis genommen werde. Doch aus den Schwarz-Weiß-Bildern könnten schnell hochauflösende Handybilder werden, mahnte sie. Es liege an uns, zu entscheiden, ob die Bilder der Installation eine museale Vergangenheit zeigen. Oder eine drohende Zukunft.

Installation „AugenBlicke“, bis zum 1. Dezember im NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10–19 Uhr.

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